Leichte Turbulenzen - Roman
polternd in die Wanne.
»Die Ärzte tippen auf Hirnhautentzündung in Kombination mit einer Sepsis. Jetzt müssen sie sehen, ob die Therapie überhaupt noch anschlägt. Oder ob es schon …«
»Was? Wieso sollte die nicht mehr anschlagen?«
Von außen klopfte Eve an die Tür, und die Klinke wurde mehrfach heruntergedrückt. »Du, Ivy, ich gehe mal wieder runter. Meinst du, du kannst nach den Kindern sehen? Ich lege dir in jedem Fall den Wohnungsschlüssel auf das Nachtschränkchen! Okay? Wer ist überhaupt dieser gut aussehende Mann, dessen Zeichnung da über deinem Schreibtisch hängt? Ist das dieser sexiest man alive Ryan Reynolds? Ist dir wirklich toll gelungen. Also, ich komme noch mal kurz hoch, bevor ich gehe.«
Ivy presste ihren Kiefer fest zusammen und zählte langsam bis zehn. Die Wohnungstür fiel ins Schloss. Ihr Herz wummerte. Die kleine Lucy. Ihr süßer Wurm.
»Ich weiß auch nichts Genaues«, seufzte Walter. »Nathalie hat vorhin nur kurz durchgerufen und Bescheid gegeben, dass sie mit Lucy auf der Intensivstation ist und dass man erst in ein paar Stunden sagen kann, ob sie …ob sie durchkommt.«
»Und wo ist Peer?«
»Keine Ahnung, ob er bei den beiden ist. Es klang vorhin aber eher nicht so.«
»Fährst du hin?«
»Morgen früh nehme ich den ersten Zug und gucke mal, was ich tun kann.«
Ivy klapperte am ganzen Körper, als hätte sie, genau wie damals als Fünfjährige, den Elektrozaun der Schafweide angefasst und könnte ihn nicht wieder loslassen, weil der Strom sie einfach nicht mehr losließ. Draußen peitschte der Regen gegen das Badezimmerfenster, presste die kühle Luft des grauen Märzabends durchs Glas zu ihr und überzog ihre Arme mit Gänsehaut.
Minuten später stand Ivy noch immer benommen in der Mitte ihres Zimmers. Über dem Hof hing der bleierne Himmel und überzog alles mit einem schmutzig grauen, feuchten Schleier. Unter sich hörte sie Eve mit ihren Jungs diskutieren, eine Tür flog, dann wurde der Fernseher angeschaltet. Die quäkige Stimme von Sponge Bob drang zu Ivy nach oben. Ihre Füße steckten in den ausgetretenen Ugg-Boots, um ihre Beine schlackerte die dunkelblaue Jogginghose. Sie zog ihren Kapuzenpulli über und bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen. Wenn Desmond doch nur hier gewesen wäre. Er hätte sie mit Sicherheit beruhigt und sich alle Mühe gegeben, sie zu zerstreuen.
Es klopfte schon wieder. »Ivy? Ich gehe jetzt! Hast du den Schlüssel gefunden?«
Und er hätte Eve ganz sanft darauf hingewiesen, dass die anderen Menschen auch ab und an mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten und eines gewissen Maßes an Ruhe bedurften, um einen klaren Kopf zu behalten.
Ivy drehte ihren Kopf Richtung Nachtschränkchen, die armen Jungs mussten ihre aufgeregte Mutter aushalten, es war für sie vermutlich schon schwer genug zu verarbeiten, dass ihr Vater plötzlich ausgezogen war und sich nur noch sporadisch für sie zuständig fühlte. Dieser Stephen klang allerdings derart problematisch, dass man den Kindern da unten nur wünschen konnte, er möge seine Frau, mit der er in Oxford lebte, niemals verlassen, um zu Eve zu ziehen.
»Ivy?« Eve pochte von außen gegen die Tür.
»Ja! Ich hab den Schlüssel gefunden!«
»Und drück mir die Daumen, dass Stephens Frau nicht schwanger ist.«
Ivy riss die Tür auf. »Wie bitte?«
Eve lächelte geheimnisvoll. »Na ja, es könnte sein, dass sie schwanger ist. Leider bekommt sie ihre Tage wohl erst nächste Woche, bis dahin müssen wir Ruhe bewahren und abwarten. Er kauft ihr ja jetzt nicht einfach einen Schwangerschaftstest und lässt sie draufpinkeln, um für uns Gewissheit zu haben.«
Normalerweise hätte Ivy an dieser Stelle ein klares Machtwort sprechen müssen, um ihre verirrte Nachbarin endlich zur Vernunft zu bringen. Doch gerade waren ihre Angelegenheiten wichtiger. Also versprach Ivy nur: »Ich kümmere mich um deine Jungs.« Dann schloss sie die Tür.
Aber Eve drückte sie wieder auf. »Entschuldige. Ich hab nur noch eine letzte Frage: Du würdest jetzt einfach alles laufen lassen, oder? Ich meine, ich sag dem jetzt einfach, dass er sich scheiden lassen soll.«
»Ja.«
Ivy nickte. Die Tür war zu. Sie hörte Eve die Treppenstufen hinunterspringen, so als sei sie aus ihrem hundertjährigen Tiefschlaf erwacht. Ivys Aufmerksamkeit blieb am Bildschirm des Laptops hängen, der den Blick aus einem Segelflieger zeigte, der über die unendliche Weite einer sandfarbenen Steppe dahinglitt. Der hellblaue,
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