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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Peer?«
    »Der kloppt sich beim Karate.« Nathalie lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand und blickte hinunter auf ihre dunkelblauen Lederstiefel, die sie neulich erst gekauft hatte. Niemals hätte sie gedacht, dass sie damit jemals auf der Kinderintensivstation herumstehen würde. Peer, so viel war klar, konnte seinen Karatetrip im April knicken. Er hatte die Scherben seiner Ehe aufzukehren. Lucy würde nicht sterben. Da war sie sich seltsam sicher. All die Angst, die Panik der letzten Tage um Lucys Gesundheit waren verschwunden. Endlich war die Zeit der Hypothese vorbei. Endlich war die größte Sorge Wirklichkeit geworden. Endlich hatte Nathalie Gewissheit, dass tatsächlich etwas nicht stimmte. Mit dieser Gewissheit konnte man umgehen. Jetzt konnte sie ganz ruhig sein und allen beweisen, wie stark sie war.
    »Hast du ihn nicht angerufen?« fragte Ivy. »Ich dachte, er macht gar kein Karate mehr.«
    »Ich wollte ihn nicht einengen, weil ich ja jetzt auch wieder voll arbeite und …«
    »Ja, und hast du ihm denn auf die Mailbox gesprochen?«
    »Ja, klar.«
    »Hat er sich noch nicht gemeldet?«
    »Doch, schon. Aber ich konnte gerade nicht drangehen.«
    »Warum das denn nicht?«
    »Weil ich es satt habe, dass ich immer diejenige bin, die sich treudoof um alles kümmert. Wenn er zum Karate geht, dann muss er auch damit klarkommen, dass sein Kind in der Zwischenzeit auf die Intensivstation eingeliefert wird und er mich nicht erreichen kann. Ich hab hier noch einige Formulare auszufüllen …«
    »Nathalie! Du rufst jetzt auf der Stelle deinen Mann an!«
    Nathalie legte auf. Sicherlich hatte sie noch irgendetwas geantwortet, so etwas wie: »Ja, ich versprech’s!« Genau wusste sie das allerdings nicht. Ihre Zunge lag trocken im Mund. Gerade versuchte sie herauszufinden, was schlimmer war, dass Peer sie offenbar allumfassend belogen hatte oder aber die Vorstellung, dass ihr Buch nicht die Anerkennung bekommen würde, die es verdiente. Das war doch gerade vollkommen unwichtig! Nathalie atmete tief ein und aus. Sie musste schaffen bei sich zu bleiben. Bei sich als Mutter! Sie beschwor sich: Du bist die Mama von einem kranken, kleinen Mädchen, das jetzt deine ganze Liebe und Fürsorge braucht. Mach nicht die gleichen Fehler wie deine Mutter. Lass deine liebste Lucy nicht allein. Sie braucht dich! Nathalie! Für ein paar Augenblicke war sie tatsächlich ganz da, erfüllt von Hingabe und zärtlicher Liebe. Doch gleich darauf kreisten ihre Gedanken schon wieder unkontrolliert in ihrem Kopf herum, um all die Belanglosigkeiten, die ihr weismachen wollten, wichtig und unabdingbar für das Erreichen ihres persönlichen Glücks zu sein: Und wenn sie selbst bei Amazon fünfzehn Buchbesprechungen unter falschen Namen schreiben würde, wenn sie selbst Buchkritiken für diverse Zeitungen verfassen und unter Pseudonym anbieten würde, wenn sie durch die Stadtbüchereien sämtlicher Kuhkäffer und Kindergärten und Grundschulen tingeln musste, sie würde alles tun. Sie würde durchstarten, sie würde den guten Ratschlägen ihrer Mutter folgen. Sie würde es genau so machen. So, wie ihre Mutter es damals immer gesagt hatte, als sie gemeinsam am Waldrand spazieren gegangen waren: »Verdien bloß dein eigenes Geld, mein Kind!«
    »Frau Bachmann?«
    Nathalie schlug die Augen auf. In der offenen Glastür stand eine pummelige Schwester in Violett und gab ihr mit ernstem Gesicht ein Handzeichen, dass sie bitte mitkommen solle. Nun hätte Nathalie doch gerne ihren Mann bei sich gehabt. Schwindlig erhob sie sich von ihrem Stuhl und lächelte die Schwester unsicher an. Als hätte sie Beton an den Füßen, schleppte sie sich hinter der Schwester an dem gläsernen Pavillon vorbei, in dem einige Schwestern mit umgehängten Stethoskopen herumstanden und aus gelben Kaffeebechern tranken. Das Baby schrie noch immer. Sie blieben vor dem Isolierzimmer stehen. Die Schwester reichte Nathalie einen Kittel. »Ziehen Sie den bitte über!«
    Dann zupfte sie aus den an der Wand angebrachten Pappschachteln Handschuhe und einen Mundschutz hervor. »Ziehen Sie die bitte ebenfalls an. Und berühren Sie Ihr Kind nur am Arm, geben Sie ihm keinen Kuss. Die Frau Doktor kommt gleich. Und wenn Sie das Isolierzimmer verlassen, hängen Sie unbedingt innen den Kittel an die Tür, schmeißen den Mundschutz und die Handschuhe in den schwarzen Müllbeutel und desinfizieren sich gründlich die Hände.«
    Nathalie nickte. Jetzt war sie voll da. Angekommen in der Rolle der

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