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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Wenn Sie hierbleiben wollen, können Sie versuchen, ein wenig auf dem Stuhl zu schlafen. Überlegen Sie sich das in Ruhe. Ich komme später noch einmal rein.«
    Nathalie nickte, während sie versuchte, dem Gesagten irgendwie Bedeutung beizumessen.
    Lucy flüsterte: »Ich will schlafen, Mama.«
    Nathalie setzte sich zu ihr auf die Bettkante und griff vorsichtig nach ihrer schlappen Hand, in deren Rücken die dicke Kanüle steckte. »Das wirst du, mein süßer Wurm. Du wirst schlafen.«

10.
    Ivy saß vor dem aufgeklappten Laptop an ihrem Arbeitsplatz im Atelier und öffnete das Mailprogramm. Heute war in jeglicher Hinsicht ein bedeutender Tag. Sie rechnete mit einer Antwort auf ihre mehrfach überarbeitete und aufs Wesentliche reduzierte Mail an Desmond Gayle. Außerdem würde sie gleich Vincent van Gogh die Augen einsetzen und ihn für Desmond mit dem Handy fotografieren, vorausgesetzt, er hatte ihr inzwischen geantwortet. Er sollte unbedingt wissen, dass er Ivy während der letzten Monate durchaus kreativ beeinflusst hatte. Noch nie zuvor war ihr eine Figur derart gut gelungen. Nie zuvor hatte sie eine solch überzeugende Lebendigkeit, eine solch natürliche Ausdruckskraft hinbekommen. Vincent sah beängstigend echt aus. Als würde er gleich zu sprechen beginnen und Ivy Anregungen geben, an welchen Körperstellen er noch zu verbessern war. Sie warf einen prüfenden Blick auf den reglosen Mann. Im meergrünen Leinenanzug bog er die Arme vor dem Körper zu einem O, während seine Lippen zu einem träumerisch-verklärten Kuss ansetzten. Ivy überlegte tatsächlich, ihren Mund auf seinen zu pressen. Nur um zu testen, wie es sich anfühlte, Vincent van Gogh zu küssen. Was sprach dagegen? Dass er sich nicht wehren konnte? Er war zum Mittler zwischen Desmond und ihr geworden. Er symbolisierte die Magie ihrer zufälligen Begegnung im Flugzeug.
    Wahrscheinlich würde sie Vincent wirklich gleich küssen. Ein wenig Zeit blieb ja noch, bevor Willem gegen halb neun den Werkstattraum ganz und gar für sich vereinnahmte und enthusiastisch an seiner durchtrainierten Sandra-Bullock-Figur arbeitete. Bis das Mailprogramm vollständig geladen war, stellte sich Ivy vor Vincent und hob ihr Sweatshirt an, um ihm den ersten Spitzen-BH ihres Lebens zu präsentieren, den sie sich am Tag zuvor bei Agent Provocateur gekauft hatte.
    »Wow! Was machst du da?« Willem stand schwer atmend in der Tür. »Versuchst du van Gogh anzubaggern?«
    Schnell ließ Ivy ihren Pullover herunter. »Was willst du hier? Es ist noch nicht mal acht Uhr durch.«
    »Ich hatte Sehnsucht nach Sandy. Was machst du hier? Striptease für Vincent?« Willem grinste. »Lass dich nicht stören. Ich gucke gerne zu.«
    »Sehr witzig, Willy!«
    Warum konnte nicht mal ihr simpelster Wunsch nach einem Mindestmaß an Intimsphäre in Erfüllung gehen? Ivy hatte nur zwei Minuten allein mit Vincent gewollt, um sich angemessen von ihm zu verabschieden. Sobald sie ihm die Augen eingesetzt hatte, würde sie ihn nach unten in die Galerie abtransportieren lassen müssen. Lag es an ihr, dass dauernd Menschen in ihr Leben brachen, wenn es ihr gerade überhaupt nicht passte?
    In den frühen Morgenstunden war es die arme Eve gewesen, die angetrunken und zerzaust von ihrem Date mit Stephen nach Hause gekommen war. »Ivy, hast du meine Kinder gesehen? Sie liegen nicht mehr in ihren Betten.«
    Nun stand Willem in seinen speziellen Rennradschuhen, die die Kraft direkt auf die Pedalen übertrugen, da. »Hey, Chuck! Sei doch nicht beleidigt. Ich hab Jennifer Lopez damals auch meine bruchsichere Karpfenrute aus Kohlefaser gezeigt. Was ist dabei? So sind wir Leute von Madame Tussauds nun mal. Wir lieben unsere Figuren und wollen, dass sie auch mal ein bisschen an unserem Leben teilhaben. Das ist ganz normal. Wir lernen ja sonst kaum jemanden kennen.«
    Das war leider wahr.
    Es wurde Frühling, die hellgrünen Blättchen der Bäume draußen auf der Marylebone schillerten in der Sonne, und Ivy hätte Willem am liebsten den Mund mit einem ordentlichen Stück Gaffer-Tape verklebt. Desmond schien wirklich der einziger Ausweg aus diesem gleichförmigen Leben zu sein. Unten vor den Türen schoben sich die Touristen auf den breiten Gehwegen aneinander vorbei, blieben vor den Souvenirshops stehen, besahen sich seelenruhig die I - ♥ - LONDON -Schlüsselanhänger oder kauften Postkarten, auf denen Londons Sehenswürdigkeiten auf briefmarkengroßen Bildchen zu einer quietschbunten Collage zusammengesetzt

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