Leichte Turbulenzen - Roman
ich einmal in meinem achtunddreißig Jahre währenden Leben Urlaub mit einer anderen Frau gemacht habe! Als hätte ich dich mit ihr betrogen! Jetzt reicht es. Ich kannte dich damals noch gar nicht …«
»Darum geht es nicht. Und das weißt du genau!« Nathalie zog den hellgrünen Mundschutz unters Kinn, so heiß war ihr Atem. »Es geht darum, dass du mich hinsichtlich deiner Beziehung zu dieser Jenny belogen hast. Außerdem habe ich neulich in deinem Handy eine SMS an sie gefunden, dass ihr euch zum Mittagessen trefft.«
»Ich fasse es nicht! Weißt du was? Ich glaube, ich mache tatsächlich mal zwei Wochen Urlaub. Mit irgendeinem Freund, einem, der noch nicht stinksauer ist, dass ich mich seit sechs Jahren nicht mehr bei ihm gemeldet habe. Mit dem fahre ich in die Berge oder mache einen Städtetrip. Irgendwas. Vielleicht gönnen wir uns sogar mal ein Spa-Wochenende. Oder wir gehen Ski fahren, irgendetwas Lustiges wird uns schon einfallen.«
»Ah! Ski fahren, ja?« Nathalie haute hilflos auf den Hebel des Desinfektionsspenders, sodass eine ordentliche, nach Alkohol duftende Sprühwolke herausgeschossen kam und einen feuchten Fleck auf ihrem Kittel hinterließ. »Mit Après-Ski? Willst du zu solcher Bumsmusik mit Schneehasen tanzen? Dich besaufen? Das hast du nötig, nicht wahr? Du Armer, dass du dich so lange zusammenreißen musstest. So ein Typ bist du nämlich eigentlich! Ein Skipistenproll. So, wie ich eigentlich eine Intellektuelle bin, mich dir aber versucht habe anzugleichen, damit wir es irgendwie schaffen, wenigstens einige Jahre miteinander auszuhalten.«
»Mein Schatz, es …!«
»Weißt du eigentlich«, Nathalie dämpfte die Stimme, »wie viel ich für dich aufgegeben habe? Damit du arbeiten kannst? Ich bin nicht dafür geschaffen, zu Hause rumzusitzen, Peer. Ich hätte es wissen müssen, es tut mir so leid. Ich hätte es wissen müssen, dass ich keine Vollblutmutter bin. Du kannst aus einem Käsebrötchen eben kein Wurstbrötchen machen.«
»Okay, Nathalie. Ich weiß gar nicht, was los ist.«
Die Ärztin kam herein. Mit kurzem Twiggy-Haarschnitt und dicker Bernsteinkette. »Würden Sie hier bitte das Telefon ausschalten?«
Nathalie nickte hilflos, mit dem Handy am Ohr. Sie konnte jetzt nicht auflegen. Hier mussten noch ein paar Dinge geklärt werden. Sie wollte Peer sagen, dass sie ihn liebte. So war es doch eigentlich. Aber sie befürchtete, wenn sie erst einmal aufgelegt hatte, würde sie ihn nicht noch einmal ans Telefon bekommen. Die Ärztin hatte sich den hellgrünen Kittel nur übergeworfen, er rutschte ihr beinahe vorne über die Schultern. Auf einen Mundschutz verzichtete sie ganz. War sie immun? Nathalie hob den Zeigefinger zum Zeichen, dass sie beinahe fertig war. Dann flüsterte sie. »Mein Schatz, ich bitte dich, lass uns aufhören zu streiten. Deine … deine Tochter liegt auf der Kinderintensivstation, vielleicht möchtest du herkommen?«
Am anderen Ende der Leitung war es mit einem Schlag still. Ganz still. Nathalie hörte nicht einmal mehr Peers Atmen. Es war still. Nur der endlos stille Raum, in dem sich das Telefon und Peer befanden, hallte in der Leitung wider. Nathalie horchte, während die Ärztin sich besorgt Lucys Hautausschlag ansah. Nathalies Herz wummerte. »Peer?«
»Ja.«
»Wo bist du überhaupt?«
Die Ärztin richtete sich nun auf und schüttelte ärgerlich den Kopf. Nathalie nickte entschuldigend und formte mit den Lippen: »Mein Mann ist dran.«
»Ich stehe in unserem Treppenhaus«, sagte Peer. »Mit einem Strauß Rosen und einer Flasche Champagner in der Hand, zur Feier unseres fünften Hochzeitstages.«
Nachdem Nathalie Peer, mit Blick auf ihre unberingte Hand, stockend die Klinikanschrift und die Zimmernummer durchgegeben hatte, atmete sie tief durch und betrachtete ihr kleines Mädchen, das bleich und apathisch vor ihr lag. An ihrem Hochzeitstag hatte sie ihren Ehering in den Hinterhof auf die Müllcontainer geschleudert. Sie müsste Peer anlügen, was den Verbleib des Rings anbelangte. Wie verlor man einen fest sitzenden Ring?
Die Babyschreie drangen zu ihnen durch.
Die Ärztin besah sich flüchtig Lucys ausgedruckten Herzschlag. »Morgen früh wissen wir mehr. Die Therapie, die wir jetzt eingeleitet haben, wird die Erkrankung erst einmal verschlimmern, das ist normal. Die Frage ist nur, wie widerstandsfähig Ihr Kind ist. Wenn Sie nach Hause fahren und ein bisschen schlafen wollen, können Sie das tun. Wir können Ihnen hier leider kein Bett anbieten.
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