Leichte Turbulenzen - Roman
erklärt er mir, dass er definitiv nicht vorhat, seine neuerdings schwangere Frau zu verlassen.« Eves vom Schmerz gezeichnetes Gesicht war mit einem Netz aus heruntergeronnenen Maskaratränen überzogen gewesen. »Sie ist schwanger, Ivy! Weißt du, was das bedeutet?«
»Nun ja …«
»Dass es mit Stephen und mir nichts wird!«
Das hätte Ivy ihr schon vorher sagen können. »Das tut mir leid, Eve. Wirklich. Aber vielleicht versuchst du erst einmal herauszufinden, warum Frank so plötzlich gegangen ist. Er ist doch dein Mann. Der Vater deiner Söhne. Ihr gehört doch zusammen.«
Gegen sieben Uhr dreißig hatte Nathalie angerufen, um zu melden, dass es sehr gut um Lucys Überlebenschancen – so hatte sie es tatsächlich ausgedrückt – bestellt sei und dass sie dennoch dankbar wäre, wenn Ivy so schnell wie möglich nach Berlin kommen würde, um ihrer Nichte in diesen bedrückenden Stunden beizustehen. »Auch, um Mamas versäumte Fürsorge wettzumachen.«
Über diesen Punkt wollte Ivy noch einmal in Ruhe mit ihrer Schwester reden. Die Einbildung, ihre Mutter habe sich nicht ausreichend um die emotionalen Belange ihrer älteren Tochter gekümmert, schien neu in Nathalies Repertoire erlittener Ungerechtigkeiten aufgenommen worden zu sein. Ivy rutschte der Magen in die Hose. Über das Übel, dass sie notgedrungen wieder nach Berlin fliegen musste, würde sie später nachdenken. Dieses Mal würde sie garantiert abstürzen. Wenn doch nur Desmond mit ihr fliegen könnte. Dann wäre alles gut. Sie würde sich an ihn klammern oder sich zumindest als heitere Gesprächspartnerin erweisen, die es wert war, dass man sein Leben mit ihr verbrachte. Vermutlich komponierte Desmond längst in Los Angeles die Musik für seine erste Liebeskomödie und war jetzt schon mit Renée Zellweger zusammen. Solche Leute wie er kamen überall gut an. Wenn Ivy nur gewusst hätte, warum Desmond sich nie bei ihr gemeldet hatte. Es konnte doch nicht sein, dass ihm damals entgangen war, dass sie sich mehr als nur gut verstanden.
Willem lüftete sein sonnengelbes Cool-Kids-Can’t-Die -T-Shirt, das ihm feucht am Bauch klebte, und machte ein paar watschelnde Schritte in den Raum hinein, nachdem er seine Rennradschuhe gegen seine ramponierten Lederslipper ausgetauscht hatte. »Weißt du eigentlich, wie warm es draußen ist? Ich schwitze wie ein Schwein. Es ist Anfang April, und die Leute laufen in kurzen Hosen draußen rum. Sogar einige von diesen bleichen Studenten tragen Shorts. Ich sage dir, unser Klima kippt um. Im Vicky Park ist der gesamte See komplett mit Algen zugewachsen.«
Ivy zuckte mit den Schultern. »Ich finde das Wetter angenehm.« Zwischen Daumen und Zeigefinger knetete sie das hellrosa Fixierwachs für Vincents Augen weich, um ihrem Kollegen zu signalisieren, dass sie gerade in die alles entscheidende, letzte Phase ihrer Arbeit eintrat, bei der sie nicht gestört werden durfte.
»Du hast ja keine Ahnung, was diese unbezwingbare Masse an Algen für die Karpfen bedeutet.« Willem nahm seinen ehemals weißen Kittel, der mit bunten Ölfarbenspritzern verziert war, vom Haken und knöpfte ihn über dem Bauch zusammen. »Die Viecher ersticken qualvoll. Ich habe schon überlegt, ob ich nicht mal mit einer Art Schleppnetz über den See rudern sollte, um die Algen rauszuholen. Oder ich blase mit Hilfe von einem Schlauch Sauerstoff in die untersten Schichten.« Er stellte sich viel zu dicht neben Ivy und legte ihr seine weiche Pranke auf die Schulter. »Hilfst du mir dabei, die Natur zu retten?«
»Willem, bitte. Ich brauche mal eben Ruhe, um die Augen einzusetzen.«
»Tu dir keinen Zwang an.« Ihr Kollege nahm prüfend die Schachtel mit Vincents Augen hoch, die auf dem Rollwägelchen neben den Ölfarben stand. »Türkis, hm?«
»Smaragd.« Ivy würde den Tag loben, an dem Willem endlich eine Freundin hatte. Vielleicht würde er dann endlich einsehen, dass aus ihnen nie etwas werden würde.
Er hielt sich die beiden Glasaugen dicht vors sonnengerötete Gesicht. »Fragst du dich auch manchmal, was all diese Augen denken?«
»Bitte?« Ivy starrte auf seine Fingernägel, die bis zum Nagelbett heruntergekaut waren, während sie unaufhörlich das Fixierwachs knetete. Gab es denn gar keine Frau, die für ihn in Frage kam? Es passte ihr überhaupt nicht, dass er mit Vincents Augen herumspielte. Er sollte sich seinen iPod in die Ohren stöpseln, sich an seiner Sandra-Bullock-Figur abarbeiten und sie in Ruhe ihre privaten Mails lesen
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