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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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nicht, was Willem ihr hatte sagen wollen. Und es interessierte sie auch nicht. Willem war der erschütternde Beweis dafür, dass es tatsächlich Menschen gab, die unfreiwillig dazu verdammt waren, alleine durchs Leben zu gehen. Sein einziger Weggefährte war sein korallenroter Kampffisch Doodle, der bei ihm zu Hause auf dem Fensterbrett in einem Kugelglas zwischen einer Handvoll Spinatblättern herumschwamm. Willems Existenz machte Ivy Angst, Angst vor dem Schicksal, das sie womöglich auch ereilen konnte, wenn Desmond nicht mitspielte und sich in seiner Mail mehr oder wenig deutlich dazu bereit erklärte, ihr Mann fürs Leben zu sein.
    Willem trank den abgestandenen Kaffee in einem Schluck aus und ging hinüber an seinen Arbeitsplatz. »Dem Hellen und Dunklen, welche der Zufall uns schickt, sollten wir mit ergriffener Verwunderung und Dankbarkeit begegnen. Wer hat das gesagt, Chuck?« Ohne auf eine Antwort zu warten, steckte er sich die Kopfhörerknöpfe seines iPods in die Ohren und betrachtete konzentriert die Teilfotografie einer hellbraun geschminkten Frauenoberlippe, die er sich hinter die beleuchtete Lupe geheftet hatte.
    »Was?« Ivy sah ihn an. »Was hast du gesagt?« Sie rief es fast, um diesen Druck loszuwerden, der ihr Innerstes wie eine komplett ausgepresste Zitrone zusammendrückte, um doch noch ein wenig Saft herauszuquetschen. Willem reagierte nicht mehr. Wenn er arbeitete, war er für niemanden zu sprechen. Was gut war. Ivy benahm sich wie ein aufgekratztes Schulmädchen. Das war ihr klar. Was konnte ihr alter Freund dafür, dass sie momentan unter einem Anfall schlimmster, pubertärer Aufregung litt, dass ihre Nervenenden unter der Haut glühten, weil sie in einen Mann verliebt war, von dem sie nicht einmal wusste, wo er war. Und vor lauter unerfüllter Sehnsucht projizierte sie wie ein Teenager auf einen Pop-Star all ihre Liebe auf eine Wachsfigur, die einen vor über hundertzwanzig Jahren verstorbenen, psychisch kranken Künstler darstellte, mit dem sie die letzten Monate über intensive Zwiegespräche geführt hatte!
    Konzentriert mischte Willem auf seiner Palette einige Beige- und Brauntöne zusammen und begann behutsam, seiner Sandra-Bullock-Figur die Lippen mit einem feinen Pinsel zu kolorieren, dazu flüsterte er vor sich hin. »Sie sind der funkelnde Stern am nächtlichen Sunset Boulevard, Mrs. Bullock.«
    Ivy atmete tief ein und aus, um ruhig zu werden und wandte sich wieder Vincent zu. Sie kannte sein Gesicht genau, jede kleine Vertiefung, jede noch so winzige Wölbung, seine Nase, sein Kinn, seinen Bartansatz, seinen Hals, die darunter liegenden Sehnen, die Schlagader, seine Schläfen, die hohen Wangenknochen, die zusammengezogenen Augenbrauen, die Stirn und die feinen Äderchen unter der Haut. Sie mochte Vincents Hals. Mit der flachen Hand strich sie nun über die schön geschwungene kühle Seitenlinie; sanft und entschieden fühlte sich diese Stelle an. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte sie sogar, unter der hauchdünnen Schicht aus Glasfaser seinen Pulsschlag zu spüren. Unglaublich, wie gut ihr dieser Mann gelungen war. Zum ersten Mal war sie wirklich stolz auf das, was sie mit ihren eigenen Händen erschaffen hatte. Stolz und erfüllt. Gerade wandelte sie auf ihrem Pfad des Glücks. Dicht stellte sie sich vor den Maler, der lediglich ein paar Zentimeter größer war als sie. Zärtlich wisperte sie. »Na, Vince?«
    Sie legte ihm die Hände auf die Schultern und massierte diese ein wenig. Ihre Stimme hatte einen seltsam weichen Klang bekommen. »Entspann dich.«
    Schließlich ließ Ivy ihre Hände sanft über das lichtgrüne Revers seines zerknitterten Jacketts gleiten und sah in seine leeren Augenhöhlen. »Dann wollen wir mal. Tut gar nicht weh.«
    Ivy zog das Rollwägelchen mit den Pinseln und Farbtöpfchen zu sich heran und stellte die Schachtel mit dem Augenpaar darauf, das Willem neben seinem ausgetrunkenen Kaffeebecher hatte stehen lassen. Dann angelte sie mit dem Fuß das hellblaue Plastikbänkchen heran, streifte ihre weißen Baumwollhandschuhe über und polierte die Augen noch einmal mit einem kleinen gelben Brillenputztuch. »Okay.« Sie atmete tief ein. Dann wieder aus. Ihre Schultern schmerzten, ihre Hand zitterte leicht. Mit einem Mal schien das Auge unverhältnismäßig schwer. Irritiert legte sie es zurück in die Kiste. In den letzten Jahren hatte Ivy an die sechzig Augenpaare eingesetzt, überall auf der Welt standen Figuren, denen sie, ohne darüber

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