Leichte Turbulenzen - Roman
Hobby suchen? Irgendwas? Besuch einen Tanzkurs für Singles, oder komm mit zum Angeln. Aber lass den Quatsch mit der Auferstehung. Dafür sind wir noch zu jung. Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass Vincent van Gogh wiederauferstanden ist, oder? Denn wenn du das denkst, würde ich dir dringend ein bisschen Urlaub empfehlen. Also? Denkst du das?«
»Ist doch egal. Ich will nur wissen, ob du generell an Auferstehung glaubst.«
Willem zuckte mit seinen Schultern. »Keine Ahnung, Chuck. Kann schon sein. Zumindest im übertragenen, religiösen Sinne. Warum nicht? Was spricht dagegen? Du kommst und gehst und kommst und gehst. Bis in alle Ewigkeiten. Wie die Gezeiten, weißt du? Aber um ehrlich zu sein, hab ich keine Ahnung von diesem ganzen Zeug. Ich könnte meine Tante Ethel fragen, die ist aktives Kirchenmitglied und liebt Jesus mehr als ihren Bruder, was keine große Kunst ist. Dennoch stellt sich die Frage, ob alles stimmt, was im Neuen Testament geschrieben steht. Also: ob es Jesus wirklich gab, ob er Blinde tatsächlich sehend machen konnte. Eben das ganze Wunderzeug. Wenn du das wissen willst, dann finde heraus, ob das Grabtuch echt ist, das sie im Turiner Dom ausstellen. Wenn das Teil zweifelsfrei von ihm ist, weißt du mit relativer Sicherheit, dass Jesus zumindest gelebt hat. Wenn er gelebt hat, musst du nur noch jemanden finden, der beweisen kann, dass er tatsächlich auferstanden ist. Dafür würde ich dir dann den Kontakt zu Tante Ethel anbieten. Oder check das doch mal auf Google.«
»Das ist pure Blasphemie.«
»Hab ich behauptet, dass ich gläubig bin? Ich bin Naturalist.«
Ivy gab es auf. Dieser Willy änderte dauernd seine ideologische Anhängerschaft. Mal hatte er etwas gegen blasphemische Äußerungen, dann wieder war er Atheist oder Naturalist. In jedem Fall war er früher wesentlich bereitwilliger gewesen, solche Eventualitäten geistvoll durchzuspielen. Nicht sie war bourgoise sondern er! Willem kochte alles auf die rein wissenschaftliche Ebene herunter, warf es ihr aber vor! Sehr freundlich. Vorne auf der Straße wurde ungeduldig gehupt.
Willem steckte sein Handy und das Portemonnaie in die Hosentaschen. »Ich muss los, Chuck. Mein Taxi wartet. Wenn du willst, komm morgen mit in den Vicky Park Karpfen angeln. Ein bisschen frische Luft wird dir guttun. Du bist total blass. Dieses Mal werde ich den Ostsee ausprobieren und dir zeigen, was der Sinn des Lebens ist. Fressen und gefressen werden.«
»Danke!« Ivy lächelte mit einem Anflug von plötzlicher Zärtlichkeit für ihren tapferen Freund. »Nächstes Mal komm ich mit. Morgen muss ich doch nach Berlin fliegen.«
»Verstehe. Guten Flug!«
»Darf ich dich trotzdem noch etwas fragen?«
»Immer.« Willem steckte die Hände in die Hosentaschen, bereit, den nächsten Tiefschlag würdevoll einzustecken.
»Also«, Ivy räusperte sich. Sie wusste, dass sie Willy diese Frage jetzt nicht auch noch antun musste. Aber sie schaffte es nicht, sich selbst daran zu hindern. Zu groß war das drängende Bedürfnis nach Aufklärung. »Desmond hat mir gestern zurückgemailt und …«
»Ach? Hat er, ja? Warum erfahre ich das erst jetzt?« Willems Gesicht färbte sich ganz leicht rot.
Ebenso Ivys Gesicht. »Ich wollte es dir noch erzählen, aber dann kam diese Sache mit Vincents Augen dazwischen und …« Ivy holte tief Luft, um ihr entlarvendes Gestammel irgendwie in den Griff zu bekommen. »Auf jeden Fall meint er, er habe die Lichtverhältnisse geändert, um das Wesentliche zu finden.«
»Wow!« Willy verschränkte seine mit Sommersprossen überzogenen Arme vor der Brust. »Das war’s? Mehr nicht? Scheint ja ein echter Poet zu sein!«
Ivy blinzelte verlegen an ihm vorbei. »Na, und dass er sich freut, dass ich an ihn denke, er denkt an mich. Mehr nicht. Heißt das jetzt, er will mich sehen?«
Willem schüttelte sich angewidert, als sei ihm eine eklige Spinne hinten in den T-Shirt-Ausschnitt gekrabbelt. »Vergiss es. Der Typ hat einen Knall. Mail ihm so ein Smiley zurück, das sich mit dem Hammer selbst auf den Kopf haut.« Damit verschwand er aus der Tür die Treppe hinunter.
Als er fast unten war, beugte sich Ivy über das Geländer und rief durchs Treppenhaus: »Du bist ein echter Freund, Willy.«
Seine Stimme drang müde zu ihr nach oben. »Keine Ursache, Chuck. Ich hole morgen früh mein Rad und meine Angelhose bei dir ab und mach mir ohne dich ein schönes Wochenende.«
Unten fiel die Tür ins Schloss. Ivy drückte ihre Wohnungstür zu,
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