Leichtes Beben
bitte beeilen Sie sich!«, bat Hoffmann.
»Wo, um Himmels willen, soll ich eine so hohe Leiter auftreiben?«
»Was weiß ich!«, entfuhr es Hoffmann. »Rufen Sie eben die Polizei, oder nein, besser die Feuerwehr!«
Hoffmann stellte sich vor, wie unten vor seiner Tür ein Feuerwehrauto mit eingeschaltetem Blaulicht vorfuhr, Männer, die feuerfeste Anzüge und Schutzhelme trugen, heraussprangen und mit der Rettungsaktion begannen. Als er obendrein an die Schaulustigen dachte, die unweigerlich herbeilaufen würden, bekam er es mit der Angst zu tun und rief: »Nein, warten Sie! Keine Feuerwehr!«
»Wie Sie wollen«, antwortete Miriam Bernheim.
Hoffmann wollte unter allen Umständen verhindern, dass sein Missgeschick in der Nachbarschaft die Runde machte. Er galt ohnehin als Kauz und war nicht bereit, den Olsons diesen Triumph zu gönnen. Er überlegte fieberhaft, was zu tun war.
Er drehte sich umständlich auf den Bauch und ließ sich vorsichtig die Schräge hinab. »Können Sie mich sehen?«
»Nein«, sagte Miriam Bernheim.
»Und wie ist es jetzt?« Er streckte mutig seinen rechten Arm über die Dachrinne hinweg in die Tiefe, |107| während er sich mit der linken Hand an der Fangvorrichtung festhielt.
»Ja, jetzt kann ich Ihren Arm sehen!«
Hoffmann hasste es, auf andere angewiesen zu sein. Genau das aber war er im Augenblick. Doch dass Miriam Bernheim ihm auf solch diskrete Art beistand, milderte seine Scham ein wenig.
»Warten Sie!«, sagte Miriam Bernheim.
»Was machen Sie?«, fragte Hoffmann schwach. Mit vorgestrecktem Arm lag er unverändert auf dem Bauch und spürte, wie ihm das Blut in den Kopf lief und mächtig in den Ohren zu dröhnen begann.
»Einen Moment noch!«, sagte Miriam Bernheim.
»Wo gehen Sie hin? Nicht weggehen, bitte!«
Früher hatte Vera ihm beigestanden. Später, nach ihrem plötzlichen Tod, hatte Hoffmann, der sich stets großspurig als Atheist bezeichnet hatte, begonnen, hin und wieder vor dem Schlafen zu beten, oft aber mitten im Gebet aufgehört, weil er das Gefühl hatte, mit einem Gegenüber zu sprechen, das es nicht gab. Er war sich lächerlich dabei vorgekommen.
Auf der Straße fuhren Autos vorbei, gefolgt vom trockenen Knattern eines Mopeds. Hoffmann blickte ängstlich auf die gegenüberliegenden Dächer, als plötzlich etwas Zartes seine Fingerspitzen berührte.
»Oh«, rief er überrascht und zog die Hand ruckartig zurück.
»Hallo! Das bin ich«, rief Miriam Bernheim.
»Sie? Aber wie können Sie denn, ich meine …?«
»Ganz einfach!«, antwortete Miriam Bernheim aufgeräumt. »Ich stehe auf einem Stuhl.«
|108| Hoffmann streckte seinen Arm diesmal so weit aus, dass er Miriam Bernheims Hand zu fassen bekam und fest umschloss.
»Danke«, sagte er nach einer Weile. Er spürte einen stechenden Schmerz in der rechten Schulter.
»Wofür denn?«, antwortete Miriam Bernheim.
Als Antwort drückte er ihre Hand. Hoffmann konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt eine Frauenhand gehalten hatte. Der Schmerz in seiner Schulter schnitt ihm die Luft ab. In seinem Arm prickelte es, und Schweiß rann ihm in die Augen.
»Können Sie sich vorstellen, mit mir auszugehen, wenn das alles vorbei ist?«, fragte Hoffmann tonlos. »Ich meine, als kleines Dankeschön für Ihren Beistand?«
Es kam keine Antwort.
Ich Idiot, dachte Hoffmann, als er spürte, wie Miriam Bernheim ihre Hand aus seiner löste.
»Es tut mir leid!«, rief er eilig.
»Was tut Ihnen leid?«, antwortete Miriam Bernheim.
»Ich meine, na ja, Gott sei Dank. Ich dachte schon, Sie wären irgendwie böse!«,sagte Hoffmann, der plötzlich spürte, dass die Sache hier kein gutes Ende nahm, wenn nicht bald jemand mit einer Leiter auftauchte und ihn von dem verdammten Dach herunterholte. »Ich meine, weil Sie ihre Hand weggenommen haben.«
»Mir ist bloß der Arm eingeschlafen«, sagte Miriam Bernheim.
»Ach so.« Hoffmann lachte auf. Er hob sein Becken an, angelte nach einem der hinteren Ziegel, zog sich |109| vorsichtig daran hoch, drehte sich auf den Rücken und setzte sich auf.
»O Gott«, rief er und schüttelte ein paar Mal schwerfällig seinen rechten Arm, damit das Kribbeln darin nachließ.
»Und was nun?«, fragte Miriam Bernheim.
»Keine Ahnung!«, antwortete Hoffmann und registrierte ein leichtes Schwindelgefühl.
Ob sie nicht doch besser die Feuerwehr rufen solle, fragte Miriam Bernheim. Doch statt ihr zu antworten, stemmte Hoffmann teilnahmslos beide Beine gegen die Fangvorrichtung und legte sich
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