Leichtes Beben
reglos hinüber in die Wohnung sah und offenbar in sein ans Ohr gedrücktes Handy sprach.
»Ulf«, sagte Frida Koch energisch, »hör jetzt auf damit!« Dabei zerrte sie an der Schulter ihres Mannes.
»Nicht, Frida, lass das!« Koch setzte sich sanft, aber bestimmt zur Wehr.
»Ulf, verdammt noch mal!«, wiederholte seine Frau und verkrallte ihre Finger nun fester in den Pullover, der seine kantige Schulter umspannte.
»Frida! Was soll denn das?« Koch versuchte nun energischer sich aus ihrem Griff zu befreien.
»Aufhören!«, ließ seine Frau nicht locker und zerrte so fest an seinem Pullover, dass plötzlich die Schulternaht mit einem Ratschen aufriß und Kochs nackte Haut zu sehen war.
»Sag mal, spinnst du jetzt total oder was!«, schrie Koch, begutachtete die Bescherung und wandte sich seiner Frau ruckartig zu. Daraufhin griff sie nach dem Feldstecher, um ihm das Gerät zu entreißen.
|100| Koch drängte sie nun so heftig zur Seite, dass sie mit der Hüfte gegen die Rückenlehne des Sofas stieß. Doch sie umklammerte weiter mit verzerrtem Gesicht den Feldstecher.
Hinter ihrem Rücken begann sich unterdessen die Hebemaschine in Gang zu setzen. Langsam tauchte der Liftkorb mit dem Mann darin nach unten, bis er schließlich ganz aus ihrem Sichtbereich verschwunden war.
Im selben Moment gelang es Koch, die Finger seiner Frau gewaltsam zu öffnen. Entschlossen griff sie nach der rechten Hand ihres Mannes und zog daran, so fest sie konnte. Sie schüttelte und zerrte und riss. Bis der Feldstecher mit einem Knall zu Boden fiel.
Augenblicklich erstarrten beide und blickten zu Boden auf die grünlich schimmernden Scherben. Dann hob Koch den Kopf und spähte mit zitternder Oberlippe zur gegenüberliegenden Wohnung. Doch es gab nichts mehr zu sehen.
|101| Neun
Hoffmann verachtete die beiden Söhne seines dreisten Nachbarn. Zwei äußerst durchtriebene Kerle, die nichts anderes im Sinn zu haben schienen, als Unheil anzurichten. Und auch der alte Olson ließ keine Gelegenheit aus, Hoffmanns Nerven zu strapazieren.
Angefangen hatte es damit, dass er kaltblütig die Äste seiner Blutbuche mit der Begründung gestutzt hatte, ihr Wuchs verletze seine Grundstücksgrenze. Danach geschah die Sache mit der Riesenladung Sand, die in Hoffmanns Vorgarten gekippt wurde, angeblich, weil Olson dem Auslieferer versehentlich die falsche Hausnummer genannt hatte. Seit Jahren folgte eine Schandtat der nächsten. Und vor drei Tagen schließlich hatte er sich das Recht herausgenommen, Hoffmanns lindgrünen Jägerzaun mit einem übelriechenden, noch dazu fuchsrot leuchtenden Holzschutzmittel zu verschandeln. Wie er später beteuerte, um ihm einen Gefallen zu tun.
Doch nun saß Hoffmann auf dem Dach seines Hauses fest, und im Augenblick waren ausgerechnet die beiden Mistkerle fünf Meter unter ihm weit und |102| breit die Einzigen, die ihn da oben runterholen konnten. Sie brauchten bloß die in die Vorgartenhecke gestürzte Leiter wieder an die Hauswand zu stellen, und die Sache hätte sich erledigt.
»Ihr müsst die Leiter an die Dachrinne lehnen!«, rief er hinunter. Hoffmann hatte beide Hände an den Mund gelegt, um einen Schalltrichter zu bilden. Die Gesichtszüge der beiden waren von seinem Platz aus nur zu erahnen. Doch wenn er sich nicht täuschte, grinsten sie.
»Verdammte Idioten!«, zischte er verärgert.
Hoffmann war auf das Dach gestiegen, um gelockerte Ziegel zu erneuern. Doch dann hatte plötzlich sekundenlang die Erde gebebt, und die Leiter hatte sich lautlos von der Wand gelöst und war umgefallen.
Was war denn das?, hatte er gedacht. Bis er von unten Stimmen hörte, die riefen: »Die Erde bebt! Die Erde hat gebebt!«
Die Sonne brannte nahezu ungehindert auf ihn herab, und Hoffmann zog grimmig seine LIONS-Kappe tiefer in die Stirn. Er sah auf die Uhr. In gut einer halben Stunde würde sie ihren höchsten Punkt erreicht haben und ihm tüchtig einheizen, hier oben.
»Auf was wartet ihr Jungs da unten denn noch?«, rief er, um Beherrschung bemüht. Vorsichtig richtete er sich auf, um über die Dachrinne hinweg in die Tiefe sehen zu können. »Na los, macht schon!« Erwartungsvoll spähte er hinunter.
Doch er glaubte seinen Augen nicht zu trauen, denn statt sie wie befohlen an die Hauswand zu stellen, |103| hatten die beiden die Leiter kurzerhand gepackt und waren im Begriff, damit abzuhauen.
»He, halt! Hiergeblieben!«, rief Hoffmann. »He, ihr, hallo! Das könnt ihr doch nicht machen!«, rief er und ließ sich
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