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Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Freud und Ludwig Wittgenstein zu treten. »Umbringen könnte ich das Schwein!«, rief er.
    »Herr Schindhelm, ich verstehe Sie ja. Niemand nimmt mit Freuden zur Kenntnis, dass sich sein Partner einem anderen zuwendet. Und die wenigsten verfügen in einer solchen Situation über die innere Sicherheit, gelassen damit umzugehen. Aber Sie sollten wirklich nicht solche Sachen sagen! In ihrem Innersten weiß Ihre Frau sehr wohl, was sie an Ihnen hat und dass es im Grunde eine flüchtige, mädchenhafte Liebelei |216| ist, die sie da momentan auslebt. Deshalb sollten Sie ihr ihre Gefühle gönnen und sie nicht dazu zwingen, den anderen zu meiden oder ihm aus dem Weg zu gehen. Und machen Sie ihr keine Szenen. Druck erzeugt bekanntlich Gegendruck oder Fluchtgedanken, und Sie wollen sie doch nicht in seine Arme treiben, oder?«
    Schindhelm verschlug es die Sprache. Zugleich schossen ihm unzählige widerstreitende Gedanken durch den Kopf, die er am liebsten auf der Stelle in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit geäußert hätte. Doch Fitzeks Blick auf den anthrazitfarbenen Braun-Wecker, der in dem Eichenholzregal vor den Büchern stand, signalisierte ihm, dass die heutige Sitzung in Kürze vorüber war. Und so sagte Fitzek in seiner stets freundlichen, aber bestimmten Art: »Wir müssen zum Ende kommen, Herr Schindhelm. Und bitte, geben Sie Ihrer Frau das Gefühl, dass Sie ihr nicht böse sind, bloß weil sie die Anerkennung eines jungen Mannes mehr genießt, als Ihnen lieb ist. Zeigen Sie ihr, dass Sie sie trotzdem lieben. Machen Sie ihr kleine Geschenke, seien Sie aufmerksam. So etwas kann Wunder wirken! Bei ihr und auch bei Ihnen.« Damit griff Fitzek das Klemmbrett, befestigte den Stift daran und erhob sich. Nachdem sie einen neuen Termin vereinbart hatten, geleitete er Schindhelm zur Tür, legte väterlich die Hand auf dessen Schulter und sagte: »Nur Mut! Das wird schon«, und schob ihn hinaus in die sommerliche Wärme.
    Schindhelm wandte sich, geblendet vom zwischen den Baumkronen hindurchbrechenden Sonnenlicht, |217| noch einmal um. Doch zu seiner Enttäuschung sah er, dass Fitzek die Tür bereits geschlossen hatte. Benommen von dem, was er gehört hatte, lief er zu seinem Wagen. Die darin gestaute Wärme schlug ihm derart heftig entgegen, dass er zurückwich, die Tür wieder zuschmiss und zum Kiosk an der Ecke ging.
    Als er im Baumschatten die eiskalte Bierflasche an die Lippen setzte und die kühle, herbe Flüssigkeit trank, fühlte er die Benommenheit langsam weichen. Ein Bus hielt auf der anderen Straßenseite, Leute stiegen aus und zerstreuten sich in alle Richtungen, während der Omnibus wieder anfuhr, eine rußgraue Abgaswolke ausstieß und verschwand. Ein junger Mann, der eine Sporttasche trug, kam auf ihn zu, ging an ihm vorbei und ließ sich ebenfalls eine Flasche Bier geben. In seinen schwarzen Haaren glänzte frisch aufgetragenes Gel.
    »Scheißwarm, was?«, sagte er, an Schindhelm gerichtet, der mit der Flasche in der Hand dastand.
    »Kann man wohl sagen«, antwortete Schindhelm und musterte den jungen Mann aus dem Augenwinkel. Dabei musste er an Fitzeks Worte denken.
    »Wie alt sind Sie?«, fragte Schindhelm und trank einen Schluck Bier.
    »Wieso wollen Sie das wissen?«, fragte der andere.
    »Einfach so! Wie alt?«
    »Dreiundzwanzig. Sonst noch was?«
    Schindhelm nahm einen Schluck. Dann setzte er die Flasche ab und sagte: »Gutes Alter, oder?«
    »Meinen Sie?«
    »Klar. Mit dreiundzwanzig kann man einfach so |218| die Frauen verheirateter Männer anmachen. Das tut man doch in deinem Alter so? Anderen die Frauen ausspannen, oder?«
    Der junge Mann trank ganz ruhig einen Schluck, zog aus der Brusttasche seiner ausgewaschenen Jeansjacke, die einmal schwarz gewesen sein musste, eine Schachtel Zigaretten und steckte sich eine an. Dann trat er auf Schindhelm zu, leckte sich die Lippen und sagte: »Was soll’n das werden? So was wie ’ne Anmache vielleicht?«
    »Wieso?«, sagte Schindhelm, »ich mein ja bloß!«
    »So, du meinst bloß!«, sagte der Mann, trat noch näher an Schindhelm heran und sah ihm tief in die Augen. »Dann rate ich dir, jetzt mal schleunigst dein Bier auszutrinken und abzurauschen! Denn sonst setzt’s was, klar, Kumpel?« Schindhelms Blick fiel auf die Sporttasche seines Gegenübers, und jetzt sah er den Aufdruck: Boxring Grünweiß.
    »Ist ja gut!«, gab er klein bei, stellte die nicht ganz leere Flasche in den obersten der neben der Bude aufgeschichteten braunen Bierkästen und lief

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