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Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Borsten auf seinem Kinn versengten.
    Entspannt wie immer saß Fitzek ihm in seinem geblümten Ohrensessel gegenüber, ein Bein über das andere geschlagen. Auf seinem Schoß lag das blaue Klemmbrett mit einem Blatt Papier, worauf er sich während ihrer Sitzungen immer wieder Notizen machte. Wenn Fitzek redete und dabei mit dem Bleistift in der Hand herumfuchtelte, wirkte er auf Schindhelm wie jemand, der davon träumt, ein Orchester zu führen. Zudem hatte Fitzek offenbar ein Faible für karierte Hemden. Nach zuletzt grün-weiß |213| und schwarz-rot gewürfelten Hemden trug er diesmal eines mit kleinen weißen und blauen Karos. Das ließ ihn einerseits leger erscheinen, andererseits zeigte es seine ganze Phantasielosigkeit, die sich nicht zuletzt in seinen taubenschissfarbenen Crocs offenbarte.
    »Ja!«, sagte Schindhelm. »Ja, ich liebe sie!« Doch wenn er daran dachte, wie Liesbeth diesen Kerl angehimmelt hatte, als sie gemeinsam aus der Bibliothek kamen, spürte er wieder, was ihm diese Liebe abverlangte.
    Schindhelm hatte Fitzeks Nummer in den Gelben Seiten gefunden. Verwirrt und verängstigt durch das, was sich in seinem Kopf abspielte, seit Liesbeth offenbar mehr als nur Begeisterung für ihren neuen Mitarbeiter Edwin empfand, hatte er Hilfe bei einem professionellen Zuhörer gesucht. Bei einem Psychotherapeuten, der ihn mit seiner ganzen fachlichen Autorität davon überzeugte, dass das, was er erlebte, nicht etwa der Beginn einer Psychose war, sondern lediglich die ganz gewöhnliche Eifersucht eines Menschen, der Angst vor dem Verlust seiner Liebsten hat.
    Wahllos hatte Schindhelm so lange sechsstellige Zahlenkombinationen in sein Handy eingegeben, bis statt einer Bandansage Fitzeks warme, freundliche Stimme erklang.
    Schindhelm hatte Fitzek sein Problem (Rauschen in den Ohren und nächtliche Schweißausbrüche sowie brennende Eifersuchtsschübe, die jedes Mal erschreckende Gewaltphantasien in ihm freisetzten) auf die Schnelle erläutert, zeitnah einen Termin für eine erste sogenannte »probatorische Sitzung« erhalten und |214| anschließend erschöpft die Off-Taste seines Handys gedrückt. Das war vor sechs Wochen gewesen. Doch davon, dass das Rauschen in den Ohren oder die brennende Eifersucht nachgelassen hätten, konnte keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Gewaltphantasien hatten sich in aus heiterem Himmel auftretende Panikattacken verwandelt, und aus dem Rauschen war eine Art Dauerton geworden.
    »Aber wie soll ich ihr denn vertrauen, wenn sie nicht einmal leugnet, Gefallen an diesem Edwin gefunden zu haben?«, sagte Schindhelm und fuhr sich mit der rechten Hand über die feuchte Stirn.
    »Indem Sie sich vor Augen halten, was das ist, was Ihre Frau da gerade erlebt und erfährt!«, antwortete Fitzek.
    »So?«, knurrte Schindhelm überrascht. »Was erfährt sie denn, wenn sie sich von so einem Jüngelchen bezirzen lässt?«
    »Bestätigung, Herr Schindhelm. Die Bestätigung, dass sie noch eine begehrenswerte Frau ist«, sagte Fitzek und nahm erneut seine bereits leicht beschlagene Brille ab, um sich den Schweiß aus den Augenhöhlen zu wischen.
    »Ach ja?«
    »Ja, und das ist doch nur zu verständlich«, holte Fitzek nun weiter aus, wobei er mit zugekniffenen Lidern unbeirrt weiterredete. »Sie und Ihre Frau sind jetzt sechsundzwanzig Jahre zusammen, davon neunzehn verheiratet. Da ist es doch ganz natürlich, wenn sich Ihre Frau die Bestätigung, die sich in Ihrer langjährigen Beziehung in gegenseitigen Respekt |215| gewandelt hat, andernorts holt. Und seien Sie doch ehrlich, Herr Schindhelm, Sie hören doch auch nicht vorsätzlich weg, wenn Ihnen eine hübsche junge Frau Komplimente macht. Und das ist gut so! Denn jeder von uns braucht Anerkennung. Der eine mehr, der andere weniger. Und sehen Sie es doch mal so: Solange Ihre Frau Ihnen von diesem anderen erzählt, bittet sie Sie unbewusst um Tolerierung. Und wenn Sie ihr sodann das Gefühl geben, dass Sie ihr ihren kleinen Flirt gönnen, wird sie Ihnen Ihre Toleranz und Souveränität mit Dankbarkeit und Bewunderung entlohnen.«
    Fitzeks Sprechzimmer hatte sich trotz des geöffneten Fensters und des halb zugezogenen Vorhangs inzwischen in eine Sauna verwandelt, und Fitzek selbst nahm bereits zum dritten Mal die Brille ab, um sich den Schweiß aus den Brauen zu wischen.
    »Aber ich bin nicht souverän!«, rief Schindhelm und wäre fast aufgesprungen, um gegen Fitzeks goldbraun leuchtendes Eichenholzregal mit den darin versammelten Bänden von Jung,

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