Leichtes Beben
gestanden hatte, setzte sich auf die Couch und schlug ein Bein über das andere.
»Ich saß im Büro, und meine Hände rochen nach dir. Nach deinen Haaren, deinem Parfüm, deiner Haut …«
Julia spürte, wie ihre Wangen warm zu werden begannen, und in ihrer Magengrube registrierte sie ein Kitzeln.
»Bist du noch dran?«, fragte er.
»Ja«, sagte Julia. »Und jetzt? Wonach riechst du jetzt?«
»Nach Zigarettenrauch und Bier«, sagte er.
»Ich will, dass du zurückkommst! Hörst du, Georg?«, sagte sie und erschrak gleichzeitig über ihre Worte. »Komm zurück!«
»Zu spät!«, sagte er. »Denn ich hab, glaub ich, ’ne ziemliche Dummheit gemacht.«
»Was meinst du?«
»Ich hab meinem Vater bei so einer Sache geholfen«, sagte er. »Kürzlich, spätnachts.«
|209| »Ja, und?«
»Na ja, ihm ist da was ziemlich Übles passiert, und er hat mich gebeten, ihm dabei zu helfen, die Sache wieder in Ordnung zu bringen.«
»Wovon redest du? Ich verstehe kein Wort!«
Da erzählte er ihr von dem Toten, der in der Wohnung seines Vaters auf dem Fußboden gelegen hatte. Und dass sie ihn auf einer Müllkippe abgeladen hatten.
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, sagte Julia, griff nach der Fernbedienung und richtete sie auf den Fernseher. In der plötzlichen Finsternis war ihr wohler, denn einen Moment lang hatte sie sich von dem Meteorologen, der vor einer Wetterkarte stand, beobachtet gefühlt.
»Doch«, sagte er. »Doch. Leider.«
»Ihr seid verrückt!«
»Ja, sieht so aus«, sagte er bekümmert.
Plötzlich wurde ihr Gespräch unterbrochen, und Julia starrte entgeistert auf das blau leuchtende Display ihres Handys, das weiterhin die Nummer des Anrufers anzeigte.
»Georg!«, rief sie. »Georg, bist du noch dran?« Doch da war bloß dieses ferne Rauschen, und sie stellte sich den weiten Weg vor, den es von Spanien bis zu ihr zurücklegen musste. Nach ein paar Sekunden drückte sie die Off-Taste, und die kleine Zahlenkolonne war vom Display verschwunden.
Sie blieb sitzen, weil sie ihr schnell schlagendes Herz spürte. Aus der Wohnung über ihr waren Schritte zu hören, jemand ging ruhelos auf und ab.
|210| Julia spielte mit dem Gedanken, den Fernseher wieder einzuschalten, um auf andere Gedanken zu kommen. Da klingelte es wieder, und das Telefon in ihrer Hand begann zu vibrieren.
»Hallo?«, sagte sie.
»Ich bin’s wieder«, sagte er. »Keine Ahnung, weshalb wir unterbrochen wurden.«
Unten auf der Straße hupte jemand, und einen Moment lang meinte Julia, das ferne Echo des Geräuschs in ihrem Telefon hören zu können.
»Ja, keine Ahnung«, wiederholte sie und ertastete die Fernbedienung neben sich.
»Geh ans Fenster!«, sagte er.
»Was?«
»Ans Fenster«, wiederholte er. »Du sollst ans Fenster gehen!«
»Warum?«
»Weil ich es sage.«
Julia ließ die Fernbedienung los, erhob sich und trat ans Fenster.
»Mach Licht an, ich will dich sehen.«
»Spinnst du? Was soll das, Georg?«
»Mach es einfach, bitte!«
Julia schaltete die Stehlampe an. »Wo bist du?«
»Ich bin hier«, sagte er.
Sie verstand nicht. »Wo, hier? Was meinst du damit?«
»Hier unten«, sagte er. Und jetzt sah sie ihn in dem Wagen, der auf dem gegenüberliegenden Bordstein vor der Laterne parkte. Er winkte.
»Das glaube ich nicht!«, rief sie und schaltete die |211| Stehlampe wieder aus, indem sie mit der Fußspitze den Tippschalter betätigte. »Georg! Mein Gott, Georg, ich glaub’s einfach nicht!«
»Wink mir zu«, sagte er. »Und sag mir, dass du mich liebst und dass ich raufkommen soll.«
Obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte, hob sie den linken Arm und winkte. Erst langsam, dann immer heftiger.
»Du musst das Licht wieder anmachen, Julia. Das Licht! Sonst kann ich dich nicht sehen!«
Doch stattdessen lehnte sie ihren Kopf gegen die Fensterscheibe. Sie legte das eingeschaltete Telefon vor sich auf die Fensterbank. Aus weiter Ferne hörte sie seine Stimme, so fern, als dringe sie aus Spanien zu ihr.
|212| Einundzwanzig
»Sie müssen Ihrer Frau einfach mehr vertrauen!«, sagte Fitzek und sah Schindhelm über die nicht entspiegelten Gläser seiner Nickelbrille hinweg aufmunternd an. »Denn Sie lieben sie doch schließlich, nicht wahr?« Die linke Hälfte seines schmalen, energischen Gesichts lag im Schatten, die andere wurde vom zum geöffneten Fenster hereindringenden Sonnenlicht angestrahlt. Schindhelm hatte ein paar Mal die Vision, Fitzeks Gesicht gehe in Flammen auf, sodass die paar lächerlichen pechschwarzen
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