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Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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verschwindet! Bitte, mach, dass alles wieder so wird wie früher!
«
Er horchte mit zur Faust geballten Händen noch eine Weile seinen Worten nach. Dann erhob er sich, schloss die Tür auf und lief schwankend ins eheliche Bad.
    Nachdem er am nächsten Morgen seine Söhne zur Schule gefahren hatte und eine halbe Stunde später den Laden aufschloss, wählte er Fitzeks Nummer. Es lief nur das Band. Nach dem Piepton sagte er: »Hier |225| spricht Armin Schindhelm. Der Urlaub war schrecklich! Wann können wir uns sehen?«

    Vier Tage später saß Schindhelm seinem Therapeuten gegenüber. Fitzek machte es sich in seinem geblümten Ohrensessel bequem und hielt das blaue Klemmbrett wie üblich auf dem Schoß. Auch die Vorhänge waren wieder so arrangiert, dass Fitzeks Gesicht halb im Schatten lag. Doch anders als während ihrer letzten Sitzungen trug er diesmal ein einfarbig blaues Hemd. Schindhelm biss sich auf die Unterlippe und sagte: »Es fing damit an, dass der Typ meine Frau im Urlaub anrief. Zuerst habe ich so getan, als ginge mich das nichts an. Doch als er am nächsten Abend wieder anrief, gab es Streit zwischen meiner Frau und mir, und der Rest des Urlaubs verlief, wie Sie sich sicher vorstellen können, in gedrückter Stimmung.« Fitzek nippte an einer Tasse Tee und stellte sie anschließend griffbereit vor sich auf den kleinen Tisch mit der Glasplatte. Er nickte und machte sich Notizen.
    Auf Fitzeks Brillenglas meinte Schindhelm plötzlich eine rätselhafte rötliche Spiegelung auszumachen, die ihn irritierte. Es war, als leuchte jemand aus großer Ferne auf ihn. Oder als handele es sich um den Laserpunkt eines Präzisionsgewehrs. Schindhelm machte sich von seiner Beobachtung los und fuhr, ohne Fitzek anzusehen, fort: »Ja. Ich habe versucht, mit ihr zu reden, doch jedes Mal wich sie mir aus. Es war zum Verrücktwerden.« Er überlegte kurz, ob er Fitzek erzählen sollte, dass er am Tag nach ihrer Rückkehr in ein Waffengeschäft gegangen war und sich die dort ausgestellten |226| Modelle angesehen hatte, berauscht von der Vorstellung, diesen Edwin mit einem gezielten Kopfschuss ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Doch das erzählte er lieber nicht, sondern kam stattdessen auf das zu sprechen, was ihn seit drei Tagen ziemlich fröhlich machte. »Dann ist Folgendes passiert«, sagte er. »An ihrem ersten Arbeitstag ist meine Frau abends ziemlich verstört nach Hause gekommen. Auf meine Frage, ob im Büro etwas vorgefallen sei, wich sie mir aus und zog sich ins Schlafzimmer zurück. Als ich wenig später hinüberlief, konnte ich sie durch die verschlossene Tür schluchzen hören.« Schindhelm machte eine Pause, denn da war immer noch dieser irritierende rote Punkt auf Fitzeks linkem Brillenglas. Offenbar hatte er Fitzeks Interesse geweckt. Erwartungsvoll sah der ihn an und sagte: »Ja, und weiter? Was geschah dann?«
    Schindhelm starrte Fitzek aber so lange entgeistert an, bis der sich schließlich in seinem Sessel aufrichtete und sagte: »Herr Schindhelm? Stimmt etwas nicht?«
    »Nein, nein!«, gab Schindhelm zunächst zur Antwort, fügte aber schließlich hinzu: »Aber ob Sie wohl den Vorhang da ein wenig weiter zuziehen könnten? Das Licht blendet mich dauernd.«
    »Aber wieso sagen Sie das denn nicht gleich?« Fitzek erhob sich aus seinem Sessel und schloss den Vorhang mit einem kräftigen Ruck, sodass augenblicklich ein mildes Halbdunkel herrschte. Und tatsächlich war der rote Punkt auf Fitzeks Brillenglas verschwunden, als der wieder in seinem Sessel Platz genommen hatte.
    |227| »Also«, sagte der Therapeut, »Ihre Frau hat sich im Schlafzimmer eingeschlossen und geweint.«
    »Ja, genau«, sagte Schindhelm. »Und wissen Sie, weshalb?«
    »Nein!«, sagte Fitzek.
    »Weil das Unvorstellbare eingetreten ist«, antwortete Schindhelm triumphierend. »Ihr Verehrer ist verschwunden. Von heute auf morgen. Einfach so und spurlos dazu. Seit unserer Rückkehr ist er nicht mehr zur Arbeit erschienen, und meine Frau ist seither ziemlich verwirrt. Ich habe mir so sehr gewünscht, er möge aus unserem Leben verschwinden. Und nun ist es geschehen.«
    Fitzek beugte sich ein Stück vor und kritzelte mit schnellen Bewegungen etwas auf sein Klemmbrett, sodass für ein paar Sekunden nur das spröde Kratzen der Mine auf dem Papier zu hören war. Schließlich lehnte er sich wieder in seinen Sessel zurück und schob seine Brille mit dem rechten Mittelfinger näher an die Augen. Er blickte Schindhelm lange an.

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