Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
Wochen. Sie war so verzweifelt, dass sie einfach Telefonnummern aus deinem Adressbuch abtelefoniert hat.«
»Das hast du mir nicht erzählt«, protestierte ich. Und Cora hatte es mir auch nicht erzählt.
Er schüttelte lächelnd den Kopf. Eine Spätvierzigerin in klassischer Kellnerinnenmontur, die etwas gehetzt wirkte und redlich schwitzte, brachte unsere Getränke – Apfelschorle für mich und Henner, Bier für Simon und Mark.
»Nein, sie hat mir das Versprechen abgenommen, dir nichts zu sagen. Wir haben uns in einem Café getroffen. Ich habe sie sofort erkannt – die Sängerin von Ugly Carpet . Ich bin ein Fan von ihrer Musik.«
»Toll.«
»Deinen Sarkasmus kannst du wegstecken.« Er seufzte, nahm einen Schluck Apfelschorle und verzog das Gesicht. »Du hast diese wunderbare Frau wirklich, wirklich unglücklich gemacht.«
Ich öffnete den Mund, um zu protestieren. »Sie hat Kondome perforiert«, murmelte ich stattdessen.
Henner grinste. »Diese Anekdote hat sie mir erzählt. Das hat beinahe die Qualität eines biblischen Gleichnisses.«
»Biblischen Gleichnisses«, wiederholte Mark und stellte den leeren Bierkrug ab.
»Halt die Klappe, Mark«, sagten Henner und ich gleichzeitig. Ich konnte nicht umhin, ich musste lächeln.
»Ich habe vielleicht nicht viel verstanden, und einiges beginne ich erst zu verstehen«, fuhr Henner fort. »Das Leben ist seltsam, unendlich facettenreich, und man kann es in keine Schablone pressen, niemals.« Er atmete tief ein. »Was ich aber verstanden habe, aus den vielen Gesprächen, die ich seelsorgerisch geführt habe: Eine Frau, die ihr Leben mit einem Mann teilt, tut das im Wortsinn – sie zerteilt ihr Leben. Männer hingegen verstehen die Partnerin oft nur als eine Art Ergänzung. Wie einen neuen Kumpel, einen Fußballclub, dessen Fan sie sind, eine Stammkneipe. Das Leben ginge auch halbwegs ohne das weiter, irgendwie und nahezu unverändert. Man macht ein paar Kompromisse und teilt sich die Zeit etwas anders auf, genießt die positiven Momente und bucht die negativeren als vermutlich vorübergehende Erscheinungen ab. Die Option, das Fähnchen bei Bedarf oder Gelegenheit in einen anderen Wind zu hängen, hakt nahezu kein Mann je endgültig ab. Frauen aber tun genau das zuerst. Wenn es nach ihrem Gefühl derRichtige ist, bekommt das höchste Priorität, mit großem Abstand zu allem anderen einschließlich der eigenen Person.«
»Hört sich ein bisschen an, als hättest du das falsche Ratgeberbuch gelesen«, warf Simon ein und nippte augenzwinkernd an seinem fast leeren Bier.
»Manchmal ist es so simpel«, sagte Henner. »Was nicht heißt, dass es nicht zugleich kompliziert wäre. Es ist einfach so, dass wir« – er vollführte eine Geste, die sämtliche Leichtmatrosen einschloss – »von völlig anderen Voraussetzungen ausgehen. Wir denken, dass sich quasi im Nachhinein herausstellt, ob eine Beziehung gut war, ist oder nicht. Für Frauen ist das eine Anfangsvoraussetzung, sie wollen eine gute, perfekte Beziehung herstellen . Und dafür tun sie alles. Bis hin zur völligen Selbstaufgabe.«
»Cora will … Cora wollte unbedingt ein Kind. Aber ich nicht.«
Henner lachte. »Nein, mein Freund. Dir geht es nicht um die Entscheidung, ein Kind zu bekommen oder doch lieber keines. Du hast nicht die leiseste Ahnung, was diese Entscheidung bedeutet und was aus ihr entstehen kann. Du siehst das Gesabber und hörst das Geschrei, weil du nur genau das wahrnehmen willst. Aber eigentlich willst du lediglich verhindern, dich nicht mehr jederzeit umentscheiden zu können. Frauen sind Dekoration in deinem Leben. Du teilst nicht, du tapezierst nur. Das ist zutiefst unfair.«
»Ich habe nie etwas anderes versprochen«, widersprach ich, spürte aber sofort, wie schwach das war.
Henner stöhnte theatralisch.
»Das Leben verändert sich drastisch durch ein Kind«, ergänzte ich leise.
»Und was an deinem fantastischen Leben ist so unglaublich gut, dass du es unbedingt vor jeder Veränderung schützen musst?«, fragte er zurück. »Kannst du drei Aspekte nennen? Zwei? Einen ?«
Mark hielt sein Smartphone hoch.
» Ugyl Carpet ? Ist das die hier?«
Auf dem Telefon war das Cover des letzten Albums zu sehen, Coras Gesicht und Oberkörper im Profil, und in einem Ruderboot, das am Strand dahinter dümpelte, saßen die anderen Bandmitglieder. »Life is an Ocean« hieß die Platte. Ich nickte und fühlte plötzlich unendliche Sehnsucht in mir aufsteigen.
»Wow, du Glückspilz«, sagte
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