Leiden sollst du
Pulverfass zu sitzen. Markus und er, die beiden verstehen sich nicht gut, sie sind sich einfach zu ähnlich.“
Daniel hielt die Luft an. Die Atmosphäre im Raum hatte sich geändert, sie knisterte plötzlich. Horst Kranich machte keinen Hehl daraus, dass er zulangte, wenn ihm etwas nicht passte. Blieb noch zu klären, wie schnell er explodierte. „Und Ewa Kranich?“
Starr blickte Nadine auf ihre ausgelatschten Hello-Kitty-Pantoffeln. Vermutlich ein Überbleibsel ihres alten Ichs, das zu ihrem neuen so gut passte wie ein Graffiti in schrillen Farben auf einer Fabrikruine. „Sie lebte da schon im Frauenhaus, deshalb waren wir ja dort. Markus wollte seinem Vater ins Gewissen reden.“
Plötzlich spürte Daniel einen Schmerz im Brustkorb, doch er wusste, dass er nicht real war. Er krallte seine Hände unauffällig um die Armlehnen und ermahnte sich, die Haltung zu wahren. Es war nur eine Erinnerung, die ihn immer mal wieder quälte.
Durch ein einziges Signalwort stieg seine eigene Vergangenheit in ihm hoch wie Kotze nach einer durchzechten Nacht.
Ein Psychotherapeut hatte ihm in seiner Kindheit eine Atem- und Entspannungstechnik beigebracht, mit der er angeblich seine Dämonen in die dunkelste Ecke seiner Seele zurückdrängen konnte, aber sie funktionierte nicht. Nicht damals und nicht heute. Aufgrund dieser schlechten Erfahrung hatte er nach seinem Unfall im März eine Therapie beim Seelenklempner verweigert. Reine Zeitverschwendung! Kaum dachte er an den schrecklichsten Moment in seiner ersten Lebenshälfte zurück, rissen die Wunden auch schon auf – dann war es zu spät, der Kummer würde ihn auf jeden Fall überrollen –, sie heilten von selbst, allerdings dauerte dieser Prozess.
Er hoffte, dass Nadine Schmitz nichts von dieser inneren Eruption mitbekam, und wischte sich mit dem Ärmel seiner Jacke die Schweißperlen von der Stirn. Dachte er an seinen Vater, färbten sich seine Gedanken rot vor Wut. Aber wenn etwas ihm die Todesangst seiner Mutter ins Gedächtnis rief – ihre panisch aufgerissenen Augen, ihr Mund zu einem stummen verzweifelten Schrei geöffnet, und die Hände hochgerissen –, zog sich seine Brust immer wieder von Neuem zusammen, als würden Wassermassen von allen Seiten die Luft aus ihm herausquetschen.
Reiß dich zusammen , beschwor er sich. Es ging hier nicht um ihn, sondern darum, den Mord an Julia aufzuklären. „Warum wohnte Ewa im Frauenhaus?“, wollte er mit belegter Stimme wissen. Er konnte es sich denken, wollte seine Vermutung aber aus Nadine Schmitz’ Mund bestätigt hören.
„Das wissen Sie noch gar nicht?“ Überrascht hob sie ihre Brauen und keuchte. „Ich hätte das nicht verraten sollen, ich hätte nichts sagen sollen, über Tote spricht man nicht, mein Gott, oh mein Gott.“
„Beruhigen Sie sich. Alles, was wir besprechen, bleibt unter uns.“ Zumindest würden Voigt und Fuchs erst davon erfahren, wenn er ihnen die Lösung des Falls auf den Tisch knallte. Die Kripo war selbst schuld, schließlich hatten die Kollegen es bisher nicht für nötig gehalten, mit Nadine Schmitz zu reden. Ein Fehler, den er, würde er noch für die Abteilung arbeiten, nicht gemacht hätte, Stress hin oder her.
„Jetzt können Sie es sich eh denken.“ Als sie den Kragen ihres Pullovers hochzog, als wollte sie sich darunter verstecken, zitterte ihre Hand. „Horst hat Ewa verprügelt, nicht nur einmal, über Jahre hinweg, bis sie es nicht mehr aushielt und von ihm weglief ... als Julia verschwand, denn ...“
Nadine schien immer kleiner zu werden, sie sackte auf dem Sofa immer weiter in sich zusammen und war inzwischen kreidebleich. Daniel bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie krank war, ins Bett gehörte und sie das Gespräch mehr belastete, als er erwartet hatte, immerhin kannte sie Markus’ Eltern ja kaum. Sie schien für diese Welt zu dünnhäutig zu sein. Wahrscheinlich war das der wahre Grund, weshalb sie mit vierundzwanzig Jahren immer noch bei ihren Eltern wohnte.
„Bitte, sprechen Sie weiter“, bat er sanft.
„Sie ... Ewa ... also, sie fürchtete sich vor ihrem Mann und wollte nicht so enden wie Julia, was auch immer sie damit meinte.“
32
Feuer! Marie roch es sofort, als sie die Tür ihrer Wohnung in der Südstadt aufschloss.
Ihr Körper spannte sich an. Sie richtete alle ihre Sinne auf das Apartment. Das Knistern von Flammen vernahm sie nicht und der Rauch war dezent, aber er war definitiv da. Er stieg nicht im Treppenhaus auf und zog auch nicht von
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