Leiden sollst du
Hätte das Dope sich nicht wie eine bleierne Decke über ihn ausgebreitet, wäre er in den Rhein gesprungen, um mit Julia unterzugehen.
36
Köln-Südstadt
Oktober dieses Jahres
Daniel schlief immer ohne Schlafanzug. Selbst im Winter, da Marie, dünn wie sie war, leicht fror und die Heizung auf niedriger Stufe durchlaufen ließ. Doch seit dem Unfall, der seinen Unterkörper zu nutzlosem Ballast gemacht hatte, war es ihm unangenehm, entblößt neben ihr im Bett zu liegen.
Obwohl er die Decke bis zur Brust hochzog, fühlte er sich auch an diesem Abend nackt. Nicht so sehr körperlich, sondern vielmehr seelisch.
Sein Defizit schien ihm deutlicher sichtbar als tagsüber in Kleidung, was streng genommen Unsinn war, aber er konnte das Unbehagen nicht abstellen. Das Problem mit der Sexualität, die nie wieder zwischen ihnen stattfinden konnte, schwebte zwischen ihm und Marie wie eine unsichtbare, aber fühlbare Trennwand. Sex gehörte zu einer Ehe dazu, es war eins der Bänder, die ein Paar verband. In ihrem Fall war es im März plötzlich durchgeschnitten worden und konnte nie wieder zusammengefügt werden. Wie lange würden die verbliebenen Bänder sie noch zusammenhalten können?
Ihm fehlte die Nähe zu Marie ja auch, aber er tat sich schwer damit, sie in den Arm zu nehmen, weil ihm die Berührung schmerzlich bewusst machte, dass er ihr nicht mehr geben konnte.
Stocksteif lag er neben ihr und hörte ihr zu. Je mehr sie ihm von Benjamins Beichte erzählte, desto mehr traten seine Gedanken an die Kluft zwischen ihnen in den Hintergrund. Was sie berichtete, war schockierend. Es machte ihn fassungslos.
„Benjamin hatte behauptet, müde vom Alkohol zu sein und früh schlafen zu wollen.“ Sie setzte sich im Bett auf, sodass die Decke bis zu ihren Hüften hinabrutschte. „Ich hatte ihm geglaubt. Er sah so fertig aus!“
Das braune Samtnegligé schmiegte sich an ihre wohlgeformten kleinen Brüste wie früher Daniels Hände. „Du hättest nicht ahnen können, dass er weitersäuft.“
„Ich habe den Wodka mitgenommen, aber ich hätte sein Zimmer nach weiteren Flaschen untersuchen müssen. Als ich noch einmal nach ihm schaute, hatte er den Tequila längst intus.“ Aufgeregt strich sie sich eine krause Strähne hinter ihr Ohr.
Ihm fiel auf, dass das Loch für ihren Ohrstecker gerötet war. „Gib dir keine Schuld daran. Er ist achtzehn Jahre alt und träg die Verantwortung selbst.“
„Manchmal verhält er sich, als wäre er erst dreizehn. Er sah so blass aus, öffnete seine Augen nicht und wirkte weggetreten, da bekam ich Angst und rief einen Krankenwagen.“
„Das war die richtige Entscheidung.“ Wäre Daniel nur früher heimgekehrt. Aber das Kreuz seiner Kindheit hatte ihn vor dem Haus von Nadine Schmitz in den Fahrersitz seines Autos gepresst und die Erinnerungen hatten ihn überrollt. Danach war er eine ganze Weile in Köln herumgefahren, um sie wieder loszuwerden, aber es kam ihm immer noch so vor, als läge ein Schatten auf ihm.
Marie nahm ein Buch von ihrem Nachttisch und drehte es unentwegt, als bräuchte sie etwas zu tun für ihre Hände. „Der Arzt in der Notaufnahme meinte, Ben hätte keine Alkoholvergiftung, sondern wäre nur sturzbesoffen. Er schlug vor, ihn trotzdem aufzunehmen, damit er unter Beobachtung steht und, sobald er aus seinem Rausch erwacht und feststellt, dass er sich in einer Klinik befindet, so schockiert und verlegen ist, dass er daraus lernt und sich nie wieder so gehen lässt. Vielleicht glaubte der Arzt auch, eine zierliche Person wie ich käme mit einem betrunkenen jungen Erwachsenen, der einen Kopf größer ist, nicht klar.“
Daniel fragte sich, ob Marie Einspruch erhoben und ihren Cousin mit heimgenommen hätte, wenn sie einen Ehemann hätte, der mit anpacken konnte, und keinen Krüppel. Er legte die Arme über die Decke, denn ihm wurde warm. „Sobald er wieder auf dem Damm ist, werde ich ihm den Kopf waschen! Nicht nur wegen dem Komasaufen, sondern auch wegen Julias Tod.“
„Er leidet wie ein Hund darunter.“ Mitfühlend schaute sie auf Daniel herab.
Beinahe hätte er sich von ihrem Welpenblick erweichen lassen, aber das Vergehen von Ben und seinen Freunden war zu ernst. „Nimm ihn nicht in Schutz! Er hätte die Finger von den Drogen lassen sollen und sofort zur Polizei gehen müssen.“
„Zu dir, meinst du wohl.“ Sie warf das Buch in ihren Schoß.
„Ja, verdammt, ich bin sauer, dass er sich mir nicht anvertraut hat.“ Er legte den Arm über
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