Leiden sollst du
hindurchschimmerten, etwas, das Nadine offenbar von ihm geerbt hatte. „Sind Sie wirklich von der Polizei?“
„Aber sicher!“, sagte Daniel im Brustton der Überzeugung.
„Dann sollen Sie doch wissen, dass er nicht nur mit Nadine liiert war, sondern auch bei ihr gewohnt hat. Selbstverständlich kennen wir ihn!“
Jetzt erst begriff Daniel. Ihr Vater sprach vom jungen Kranich, nicht vom alten. Bevor er das Missverständnis jedoch aufklären konnte, hieb Herr Schmitz mit dem Hammer nach einem imaginären Feind.
„Ich hatte gleich ein schlechtes Gefühl bei ihm. Mich konnte er mit seinen höflichen Umgangsformen und seinen Ambitionen nicht täuschen, meine Tochter leider schon.“
Flink wie eine Spinne huschte Frau Schmitz auf den Treppenabsatz vor. „Was geschehen ist, soll in der Familie bleiben, hast du selbst gesagt.“
„Und meine Gattin auch.“
„Wir waren uns einig, ihn nie wieder zu erwähnen.“ Sie betastete die Perlen ihrer Kette einzeln, als betete sie den Rosenkranz.
Mit einer Geste bedeutete er ihr, den Mund zu halten. „Der Polizei brauchen wir keine heile Welt vorzuspielen. Die haben doch protokolliert, wann sie hier waren, weil Markus Nadine mal wieder verprügelt hat. Nicht wahr?“
„Das ist so üblich, ja“, sagte Marie in einem Ton, der einer Polizistin alle Ehre gemacht hätte, und ignorierte Daniels Stirnrunzeln. Verständnisvoll nickte sie. „Wie der Vater, so der Sohn.“
„Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.“ Angewidert spuckte Herr Schmitz in den Vorgarten. Mit dem Werkzeugstiel zeigte er auf Daniel. „Tut mir leid wegen der kruden Begrüßung. Ich befürchtete, das Arschloch könnte einen Kumpel schicken, der sich als Invalide in unser Haus einschleicht, plötzlich aufspringt und Nadine ... uns … einschüchtert.“ Leise fügte er hinzu: „Oder Schlimmeres.“
Daniel rollte ein Stück näher heran, bis die Rosen ihn stoppten. „Warum sollte er das tun?“
„Damit wir nichts über ihn sagen und seine Weste weiß bleibt.“ Verlegen betrachtete Herr Schmitz den Hammer und steckte den Stiel schließlich zwischen Gürtel und Hose.
Die Pumps seiner Frau klackerten auf den Treppenstufen, als trüge sie Stepptanzschuhe. Sie blieb auf dem Weg, der zum Eingang ihres Hauses führte, einen Schritt hinter ihrem Mann stehen und rieb ihre Oberarme. „Er ist ein Blender.“
„Er täuscht alles und jeden, das beherrscht er bis zur Perfektion.“ Während Herr Schmitz weitererzählte, holte er ein Stofftaschentuch aus der Jeanstasche und wischte damit über seine Glatze. „Seine Klamotten waren immer ordentlich, seine Haare kurz geschnitten und seine Fingernägel sauber. Darauf achte ich, auch wenn Sie das jetzt lächerlich finden. Gepflegte Nägel sagen viel über einen Menschen aus, finde ich.“
Eifrig nickte Marie. Sie setzte eine Miene auf, die einfühlsamer nicht hätte sein können. Daniel schmunzelte beeindruckt, war sich jedoch nicht sicher, ob sie das Mitgefühl nur vorgab, um mehr zu erfahren, oder tatsächlich betroffen war. In ihrer Nähe tauten die Menschen auf, sie fühlten sich von ihr verstanden. Er nahm sich vor, sie öfter zu Befragungen mitzunehmen.
„Von Anfang an ließ er sich von Nadine bedienen. Wenn er Hunger auf etwas Bestimmtes hatte, fuhr sie los und holte es ihm. Manchmal kochte sie ihm um elf Uhr abends noch eine warme Mahlzeit, nur weil der Pascha das verlangte.“ Unwirsch stopfte Herr Schmitz das Tuch zurück in die Tasche.
„Zu uns meinte sie, er würde sie nicht bedrängen, sie mache das freiwillig.“ Frau Schmitz verteidigte ihre Tochter noch immer, stellte Daniel traurig fest.
„Aus Liebe. So sind wir Frauen eben“, sagte Marie butterweich und sah Daniel aus dem Augenwinkel an.
„Papperlapapp. Es stellte sich heraus, dass er zornig wurde, wenn sie nicht tat, was er wollte. Zuerst schrie er sie nur an, später wurde er sogar handgreiflich ...“ Herrn Schmitz’ Stimme wurde brüchig.
Seine Ehefrau starrte Löcher in den Boden. Sie war zur Salzsäule erstarrt. Nicht einmal ihr Brustkorb hob und senkte sich. Als wollte sie nicht auffallen. Sie tat, als wäre sie gar nicht da.
So musste sich Nadine ebenfalls verhalten haben, ahnte Daniel. Wie viele Frauen, die von ihren Partnern misshandelt wurden, war sie wahrscheinlich durch ihre eigenen vier Wände geschlichen, hatte versucht, keinen Laut von sich zu geben, um ihren Freund nicht wegen einer Kleinigkeit wütend zu machen und von ihm geschlagen zu werden. Sie
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