Leiden sollst du
Rahmen gewaltbereit, denkt, er wäre zu clever, um erwischt zu werden.“
Klack.
„Außerdem muss er in Köln leben, das beweist sein Aktionsradius.“
Klack.
Möglicherweise Bogenschütze, falls Maik nicht aus Verzweiflung um das eigene Leben und das seiner Eltern doch auf Ben und Heide geschossen hatte. Kam an Drogen heran, war aber selber vermutlich clean. Kannte sich mit dem Internet aus und war mobil, besaß also einen Führerschein und ein Auto, was wiederum aussagte, dass er mindestens zur Mittelklasse gehörte.
„Hat Kranich jemals Rauschgift genommen, als er mit ihrer Tochter zusammenlebte?“, fragte Daniel gedankenversunken. Erst Frau Schmitz’ unerwartet heftiges Schluchzen riss ihn vollkommen aus seinen Überlegungen.
„Nadine hat ihn mit unserer Hilfe rausgeworfen. Doch als wir arbeiten waren“, Herr Schmitz schluckte immer wieder heftig, als hätte er Mühe, die Worte über seine Lippen zu bringen, „ist er zurückgekehrt, hat ihr irgendetwas eingeflößt und sie ...“
Vergewaltigt. Das musste nicht ausgesprochen werden, Daniel wusste auch so, was er meinte. Markus hat sich genommen, was sie ihm verweigert hatte, um ihr zu beweisen, wer die Kontrolle über ihre Beziehung besaß. Niemand servierte ihn ab. Man verließ ihn nicht ungeschoren, sondern er war derjenige, der ging, wann er es für richtig hielt.
Die Stimme von Nadines Vater klang belegt: „Sie musste danach genäht werden. Er kam nie wieder.“
„Es ging ihm allein um eine Demonstration seiner Macht.“ Nun verstand Daniel so einiges. Während er am Vortag mit Nadine gesprochen hatte, war sie immer blasser und kränklicher geworden, nicht etwa, weil ihre Erkältung schlimmer wurde, sondern weil das Grauen zurückgekehrt war – die Angst, die Schmerzen und die Scham. Sie musste in der Beziehung mit Markus aus nervlicher Belastung stark abgenommen haben, denn als sie sich kennengelernt hatten, hatte sie noch einige Kilos mehr gewogen, das belegte das Schulabschlussfoto, das er bei ihr gesehen hatte. Jetzt war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Vermutlich lag sie im Bett, weil sie psychisch labil war und die Erinnerungen sie fertigmachten.
Daniel machte sich große Sorgen um sie. Sie hatte sich auffällig gut in Frau Kranich hineinversetzen können und ihm die Gründe für Ewas Suizid erklärt, als wären die Gedanken und Gefühle der Frau für sie glasklar, dabei hatten sie sich kaum gekannt und sich bestimmt nicht über ihre brutalen Partner ausgetauscht. Aber Nadine hatte, anders als Ewa, Rückhalt. Ihre Eltern kümmerten sich um sie, jetzt wahrscheinlich noch mehr als früher. Daniel nahm an, dass ihre Tochter schon immer emotional leicht zu erschüttern gewesen war. Aus diesem Grund hatte sie sich vermutlich geweigert, mit Markus zusammenzuziehen, nicht weil sie sich noch zu jung dafür gefühlt hatte.
Nun, da er sie noch kaputter hinterlassen hatte, würde sie noch viele weitere Jahre im Nest ihrer Familie bleiben oder gar nicht mehr flügge werden, befürchtete Daniel.
Das Ziehen in seinem Magen trat wieder ein, heftiger als zuvor. Alles passt. Denk doch nach!
Er ließ die Begegnung mit Markus Kranich noch einmal Revue passieren. Sie war äußerst merkwürdig gewesen, eine unangenehme Berg- und Talfahrt. Markus hatte ihn immer wieder gereizt und dann doch jedes Mal eingelenkt. Sicherlich hatte Kranich ihn mit seinen Sticheleien provozieren wollen.
Doch nun deutete Daniel sein Verhalten zum einen als Zeichen dafür, dass sein Hass auf die Polizei – und auf Benjamins Familie, fügte seine innere Stimme hinzu – immer wieder durchgekommen war. Wahrscheinlich hatte Markus sich nur schwer zurückhalten können, aber er hatte es geschafft.
Zum anderen wies das auf Kranichs ambivalenten Charakter hin. Wie Daniel bereits wusste, war Markus von seinem Vater ebenso wie seine Mutter geschlagen worden. In seiner Beziehung zu Nadine war er später selbst zum Täter geworden, wie es leider oft in Missbrauchsfällen der Fall war.
„Er hat sich immer um alles gekümmert, war die Schnittstelle von uns zur Familie, damals als Julia verschwand wie auch heute, wo wir wegen Mordes ermitteln. Ein aufgeweckter Bursche, wenn du mich fragst“, hatte Tomasz ihn beschrieben. „Er hat seine Schwester über alles geliebt, sie standen sich wohl sehr nah. So wie er aussagte, war ihr Verhältnis inniger als zu den Eltern, weshalb er ihr ab und zu heimlich Geld für Kleidung gab und ihr ein Smartphone kaufte. Jedenfalls verlor er im
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