Leiden sollst du
Kuli.
„Leander? Was macht der denn hier?“, fragte Daniel, ohne sein Tempo zu drosseln.
„Wer ist das?“
„Er sitzt in meinem Büro, auf meinem Platz und macht meinen Job. Ach, nein, macht er doch nicht, denn sonst wüsste er längst, was ich ... wir herausgefunden haben.“ Lächelnd drehte er sein Gesicht zu Marie und zwinkerte.
Seine Schiebermütze wurde von seinem Kopf geweht. Geschickt fing Marie sie auf und rannte hinter ihm her. „Dein Nachfolger?“
„Ein Hospitant.“ Sicher lenkte er seinen Rolli um zwei ältere Damen herum, die erschrocken an die Wand auswichen. „Er sollte eigentlich nach Kranich suchen, deshalb hatte ich Tom doch angerufen, bevor wir von den Schmitz losgefahren sind. Hier vergeudet er nur Zeit.“
Entschuldigend lächelte Marie den grauhaarigen Ladys zu.
Ihnen begegneten weitere Polizisten, diesmal in Uniform, sie befragten die Patienten. Marie wurde mulmig. Ihre Beine fühlten sich immer schwerer an und dennoch ermahnte sie sich, schneller zu gehen.
Tomasz fing sie vor Benjamins Krankenzimmer ab. Er sah aus, als könnte er eine Zigarette vertragen, fand Marie – gestresst. Sein Kürbisgesicht färbte sich rot, als er ihnen den Weg versperrte. „Warum habt ihr mich nicht früher eingeweiht?“
Knapp vor seinen Beinen bremste Daniel ab. Es passte vielleicht noch eine Münze zwischen die Fußstützen und Toms Jeans. „Ich habe doch eben selbst erst erkannt, dass Markus Kranich Michael „Mike“ Schardt, Günther „Schnapper“ Lenz und die Kollegin Backes ermordet hat. Warum sucht ihr nicht nach dem Serienmörder?“
„Die Polizeireviere in Köln und Umgebung sind bereits informiert worden.“ Tomasz war der geringe Abstand wohl unangenehm, denn er trat einen Schritt zurück. „Sobald wir hier fertig sind, fahren wir zu seinem Vater und Kranichs eigener Wohnung.“
„Könnt ihr euch sparen, er ist ausgezogen und hat nicht gesagt, wohin.“ Mit mürrischer Miene nahm Daniel seine Mütze von Marie an und setzte sie auf.
Ein Knopf von Toms orangebraunem Hemd fehlte, sodass es in Höhe des Bauchnabels etwas offen stand. „Vielleicht hat er den Nachbarn etwas über sein Ziel erzählt.“
„Er ist wohl kaum der Typ, der Freundschaften pflegt“, sagte Daniel abfällig und wischte sich die Feuchtigkeit von seiner schwarzen Fleecejacke, sodass winzige Tropfen umherstoben.
„Wir müssen sie trotzdem befragen. Ich habe schon rumtelefoniert. Auf der Arbeit hatte er schon vor einem Monat seinen letzten Tag.“
Durch den Sturzregen hatten sie an die zwei Stunden von Widdersdorf bis zum Hospital gebraucht, weil die Straßen verstopft waren. In den Außenbezirken Kölns floss der Verkehr nur noch zäh, in der City war er fast vollkommen zum Erliegen gekommen.
Marie schaute zum Fenster am Ende des Korridors. Die Tropfen fielen senkrecht. Wie ein Vorhang hingen sie hinter der Scheibe und verwässerten den Ausblick auf die Hochhäuser.
Man könnte glatt meinen, in einer Waschmaschine zu stecken , dachte Marie. Das alles kam ihr so unwirklich vor wie in einem bösen Traum.
Sichtlich ungehalten verlagerte Tomasz vor Daniel sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. „Und wann wolltest du mir sagen, dass Ben weiß, wie Julia umkam, weil er bei ihrer Tötung dabei war?“
Angespannt drehte Marie sich vom Fenster zu ihm herum. „Er hat es uns erst gestern Abend gebeichtet. Danach trank er sich ins Koma und wir brachten ihn ins Krankenhaus. Sobald er wieder auf dem Damm ist, wären wir aufs Polizeipräsidium gekommen.“
„Schon morgen, dafür hätte ich gesorgt.“ Daniels Kiefer mahlten.
Nervös knetete Marie ihre Handtasche. „Ich möchte ihn sehen.“
Tomasz atmete tief ein. Mit einem einzigen kräftigen Atemzug stieß er die Luft aus seinen Lungen aus, sodass Marie Nikotin roch. „Er ist nicht mehr hier.“
„Wie bitte?“ Vor Schreck ließ sie ihre Tasche fallen. Sie hob sie auf und trat näher an Tomasz heran.
„Er ist nicht da“, wiederholte Tom etwas lauter und dämpfte seine Stimme wieder. „Als seine beiden Zimmergenossen vom Kiosk im Erdgeschoss zurückkehrten, war Benjamin weg. Seitdem ist er unauffindbar. Das Personal hat den ganzen Vormittag nach ihm gesucht. Im Moment durchkämmen Kollegen von der Schutzpolizei das Hospital, aber ich habe wenig Hoffnung.“
Entsetzt keuchte Marie. „Die Stationsschwestern und Pfleger?“
„Haben nichts mitgekriegt.“ Tom zuckte kaum merklich mit den Achseln. Seine Unterlippe war eingerissen, als hätte er
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