Leiden sollst du
verschwieg.“ Jetzt verstand Daniel. Wie er die Leichen präpariert hatte, um eine Botschaft zu vermitteln, schien mit einem Mal logisch, auf eine äußerst kranke Art und Weise.
„Weißt du, wer noch auf dem letzten Foto zu sehen war?“, fragte Kranich gereizt und schielte Benjamin mit einem reptilhaften Blick an.
Neben ihnen rutschte der gefesselte Junge auf dem Tisch hin und her. Ein feuchter Fleck breitete sich auf seiner Jeans aus, auf dem Oberschenkel.
Daniel musste Markus dringend von Ben und seinen Freunden abbringen. Sofort! „Dann haben Sie den Streetworker folglich auch für etwas büßen lassen. Sie haben Michael Schardt genauso qualvoll umgebracht wie Schnapper.“
„Nicht genauso! Sondern so, wie das Schwein es verdient hatte. Der Penner war ein Schlappschwanz gewesen, aber Mikey dagegen hatte einfach nur keinen Bock gehabt.“
„Sie haben ihm die Hände abgesägt und die Augen mit Nähgarn verschlossen, weil er weggeschaut und sich nicht gerührt hat, als Julia ihn brauchte“, brachte Marie mühsam hervor, und Daniel dachte an ihr Gespräch mit Gully, das sie ihm gegenüber erwähnt hatte.
„Sie hatte ihn darum gebeten, sie vor den drei Minipimmeln zu schützen, aber der alte Wichser meinte, er wäre privat auf der Party, er hätte gerade einen anstrengenden Prozess hinter sich.“
Der gegen die Punker, die wegen Gruppenvergewaltigung einer Einundzwanzigjährigen angeklagt worden waren , erinnerte sich Daniel. Marie hatte ihm den Zeitungsartikel gezeigt.
„Er wollte seine Ruhe haben, sich einen picheln und vom Stress runterkommen. Wenn sie noch ein Foto von ihm schießen würde, als wäre sie von der stinkenden Presse, würde er vergessen, dass sie ein Mädchen ist und ihr das Handy in den Arsch schieben. Der Herr Sozialarbeiter hatte keine Lust, einen auf sozial zu machen.“ Aus den Tiefen seiner Nebenhöhlen zog Kranich Rotz hoch und spuckte ihn aus. „Lieber dröhnte er sich den Schädel zu, wie alle anderen auch. Dabei fühlte sich meine Julia bedroht. Sie hatte eine scheiß Angst!“
So wie Benjamin in diesem Moment. Er zitterte am ganzen Leib. Tränen rannen aus seinen Augenwinkeln. Daniel berührte seine Beine und machte „Scht“, denn wenn Bens Nase verstopfte, würde er keine Luft mehr bekommen. Er musste ihm dringend das Klebeband vom Mund reißen, aber noch befand er sich nicht nah genug an dem Gesicht des Jungen.
Mit dem Blick auf Benjamin gerichtet sprach Markus weiter und es lag etwas Düsteres in seiner Stimme. „Ich habe Mike um sein Leben betteln lassen. Lange. Immer wieder. Hab ihn verprügelt, gewartet, bis er sich erholte, und schlug ihn erneut ohnmächtig, so lange, bis er sich kaum noch geregt hat. Erst dann nahm ich die Säge.“
Mit seinem Fuß tippte er mehrmals auf das Sägeblatt, das vor ihm auf dem Boden lag. Das Klappern war nur leise, aber gerade darum klang es umso provozierender. Es reizte die Nervenenden.
Verzweifelt schluchzte Benjamin.
Daniel spürte instinktiv, dass Kranich kurz davor stand, sich auf sein eigentliches Opfer zu stürzen. Marie interessierte ihn nicht wirklich. Sobald sein schwelender Groll zu Zorn anschwoll, würde er kurzen Prozess mit ihr machen, eventuell ihr das Genick brechen, sie fallen lassen wie einen Gegenstand, den er nicht mehr brauchte, und seinen Rachefeldzug vollenden.
Aber wenn Daniel jetzt vorpreschte, löste er womöglich diese Reaktion vorzeitig aus, ohne Marie rechtzeitig aus seinen Klauen befreien zu können. Daher musste er warten. Nur noch ein wenig. Auch wenn es ihm unsagbar schwerfiel. Geduld war noch nie seine Stärke gewesen. Dieses enervierende Kribbeln in seinem Nacken machte ihn hibbelig. Alles in ihm war in Alarmbereitschaft.
Er stach seine Fingernägel in die Handballen und ermahnte sich, auf keinen Fall die Beherrschung zu verlieren.
Plötzlich zog Marie blitzschnell die Hand aus ihrer Tasche. Sie hielt das Pfefferspray über ihren Kopf und drückte auf den Auslöser, Augen und Mund zusammengepresst. Vermutlich, davon ging Daniel aus, versuchte sie in diesem Moment nicht einzuatmen. Sie drehte ihr Gesicht so weit es ging von dem Strahl weg.
Sichtlich erschrocken ließ Markus sie los. Er riss schützend seine Arme hoch und duckte sich hinter ihr.
Rasch fuhr Daniel neben Benjamin und riss ihm den Streifen Isolierband vom Mund, damit der Junge nicht erstickte.
Marie nahm ihren Finger vom Auslöser. Über ihre Schulter hinweg prüfte sie, ob sie erfolgreich mit ihrem Angriff war. Doch
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