Leidenschaft der Nacht - 4
James tot?« Ihre Stimme klang nach wie vor leise, wenn auch zunehmend aufgeregt.
Reign nahm ihren Arm und führte sie ans Ende des Treppenabsatzes. Niemand schien ihr seltsames Verhalten zu bemerken.
»Du hast nichts getan.« Wie immer beruhigten seine Worte sie. »Vielleicht wurden ihre Pläne vereitelt, oder meine Anwesenheit hielt sie davon ab, sich näher an dich heranzuwagen.«
Echte Sorge lag in seinem Ausdruck. Statt sich zu ängstigen, dass er recht haben könnte, wollte Olivia ihm die Sorge nehmen. »Nein, sie hätten einen Weg gefunden, mich anzusprechen. Entweder hast du recht, dass ihre Pläne von jemand anders vereitelt wurden, oder die Schufte erlauben sich einen Spaß auf unsere Kosten.«
Auf James’ Kosten.
Ihre Kutsche fuhr hinter der von Sir Robert und Lady Anderson vor. Reign geleitete Olivia die Stufen hinunter zum Wagen, rief ihren Gastgebern und einigen anderen Gästen noch einen Gruß zu und wandte sich zur Kutschentür.
»Verzeihung, Sir?« Der Kutscher, dessen Namen Olivia nicht kannte, der aber derselbe wie jeden Abend war, bedeutete Reign, zu ihm zu kommen.
»Was gibt’s?«, fragte Reign. Olivia wollte lieber zuhören, als schon in den Wagen zu steigen.
Der Fahrer beugte sich vom Kutschbock herunter. »Ich war bei einigen der anderen Burschen unten in der Küche zum Abendessen. Und als ich wieder in die Stallungen hinaufkomme, finde ich das hier«, er hielt Reign einen Umschlag hin, »auf meiner Bank. Da steht Mrs. Gavins Name drauf.«
Olivias Herz pochte vor Spannung, doch sie schaffte es, ruhig zu bleiben. Reign hatte ihr vorher gesagt, dass die Entführer sie gewiss beobachten würden. Der Blick, den er ihr zuwarf, verriet ihr, dass er dasselbe dachte.
»Es ist gut, dass Sie uns den Brief jetzt geben«, bestätigte Reign dem Mann, der schlechterdings die Party hätte stören und nach ihnen suchen können. »Danke.«
Er wandte sich zu Olivia, die sich von dem Diener hineinhelfen ließ. Reign folgte ihr.
Sobald die Kutsche sich in Bewegung gesetzt hatte, gab er ihr den Umschlag. Zwar verhielt er sich bisweilen reichlich herrisch, aber das ging nicht so weit, dass er ihre Post öffnete.
Olivia hielt den Brief in ihrem Schoß und starrte darauf. Er war ungefähr so groß wie der letzte mit der Dinnereinladung. Sollte sie zu noch einer Gesellschaft gehen?
»Führen sie uns absichtlich an der Nase herum?« Sie blickte zu Reign auf. »Warum mussten wir ganz hierherkommen, bloß damit sie einen Umschlag auf dem Kutschbock deponieren konnten?«
Reign verzog keine Miene, obwohl Wut in seinen Augen flackerte. »Weil sie wollten, dass du den ganzen Abend über nervös und unsicher bist.«
»Schweinehunde!«
»ja. Sie mögen das Gefühl, Macht über dich zu haben.«
Die sie auch durchaus besaßen. Zur Hölle mit ihnen! Sie würde diese Kerle jagen und in Stücke reißen, wäre James nicht in Gefahr! Doch sollten Reign und sie einen Hinweis entdecken, wer und wo sie sind, konnte sie es ja immer noch tun. Egal, welcher Sünden Reign sich ihr gegenüber schuldig gemacht hatte - was sie ihm antun sollte, war schlimmer. Allein deshalb würde sie jede Gelegenheit nutzen, um die Übergabe zu verhindern. Sie schuldete den Entführern gar nichts, wohingegen sie Reign inzwischen für so vieles zu danken hatte, dass sie es wohl kaum je wiedergutmachen konnte.
Mit dem Fingernagel lockerte sie die Umschlagklappe und riss sie auf. Darin lag ein gefaltetes Blatt Papier, in das etwas eingewickelt war.
Es war eine Haarlocke. James’ Haar. Sie konnte die Seife riechen, die er benutzte.
Mehr brauchte es nicht, um ihr die Tränen in die Augen zu treiben. Sie hielt die seidige dunkle Locke zwischen ihren Fingern und zwang sich, nicht zu weinen, bevor sie das Schreiben gelesen hatte.
Sie las es laut vor, was mit ihrer engen Kehle anstrengend war. »Kommen Sie in drei Tagen um Mitternacht ins >Wolf, Ram and Hart<, wenn Sie Ihren Neffen mit heimnehmen wollen.« Erleichterung und Unglaube stellten sich gleichzeitig ein. Sie wagte es nicht, den Worten zu vertrauen, und sie schämte sich, weil sie sich trotzdem freute, vor allem weil Reign sie sehr aufmerksam betrachtete.
»Somit bleiben uns zwei Nächte, um ihn zu finden«, folgerte er mit strenger, entschlossener Miene. »Jeder hinterlässt eine Spur. Wir müssen ihre bloß finden. Wir befreien james, und hinterher erteilen wir den kleinen Mistkerlen eine Lektion, die zu vergessen sie keine Zeit mehr haben werden.«
Olivia bleckte die Zähne - die
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