Leidenschaft des Augenblicks
psychologische Autorität des Benedict-Clans tat ihren Richtspruch kund.
»Wenn es, was selten genug der Fall ist, tatsächlich vorkommt, daß er mir zuhört«, warf Jessie ein, »dann gelingt es mir manchmal, ihn dazu zu bringen, das Richtige zu tun. Aber das funktioniert nur, weil ich gewillt bin, mich auf die Hinterbeine zu stellen und Mann gegen Mann gegen ihn zu kämpfen. Und du weißt genausogut wie ich, daß selbst das nicht immer klappt.«
»Aber meistens hast du Erfolg, nicht wahr, Jessie? Du besitzt die größte Macht in dieser Familie. Er hat dich zu seiner Alleinerbin bestimmt. Wenn einer von uns etwas von Vincent will, läuft alles über dich. Und um diese Macht auf Dauer behalten zu können, mußt du nichts weiter tun, als den Mann zu heiraten, den Vincent dir handverlesen auf einem Silbertablett serviert. Ich hätte von Anfang an wissen müssen, daß du nur auf dein eigenes, egoistisches Ziel hinarbeitest.« Glenna ging langsam in Richtung Tür.
»Tante Glenna, warte. Ich verstehe nicht, was das alles soll. Warum bist du so ungehalten, daß ich Hatch heiraten möchte? Auf diese Art bleibt das Unternehmen in der Familie und hat die Chance, wirklich groß zu werden. Und genau das wolltet ihr, du und die Moms, doch immer.«
»Das ist ja lächerlich. Ich bin nicht ungehalten.«
»Oh doch, das bist du. Ich fühle es ganz genau. Du bist stocksauer.« Jessie sprang auf und stand jetzt hinter dem Schreibtisch.
»Ich möchte einfach nur, daß du dir über die Beweggründe im klaren bist, die dich zu dieser Heirat treiben.«
»Ich will Hatch heiraten, weil ich ihn liebe!«
»Unsinn. Den Bären kannst du jemand anderem aufbinden. Wer heiratet schon aus Liebe. Das, was man gemeinhin Liebe nennt, ist nichts als eine Tarnbezeichnung für andere, elementarere Triebe: Macht, Geld, Kontrolle, Sicherheit, Sex, Druck der Familie. Das sind die wahren Gründe, warum Menschen heiraten. Sei dir gegenüber ehrlich und finde heraus, welche in deinem Fall zutreffen.«
»Ich liebe ihn.«
»Tatsächlich?« Glenna wirkte auf ihre distanzierte Art ausgesprochen amüsiert. »Und liebt er dich auch?«
Jessie verstummte. »Ich denke schon. Ja. Natürlich liebt er mich.«
»Hat er dir gesagt, daß er dich liebt?«
Jessie hob ihr Kinn. »Das ist eine sehr persönliche Frage, Tante Glenna. Ich finde nicht, daß ich sie dir beantworten muß.«
»Nein, selbstverständlich brauchst du das nicht. Jedenfalls brauchst du sie nicht mir zu beantworten. Aber ich möchte dir noch einen guten Rat geben, Jessie: Sei sehr, sehr vorsichtig, wenn Sam Hatchard dir jemals sagen sollte, daß er dich liebt. Denn ein Mann wie er wird alles tun, alles sagen, um das zu bekommen, was er haben will. Und er will Benedict Fasteners. Und er wird sich nicht scheuen, dich zu benutzen, wenn ihn das seinem Ziel näher bringt.«
»Verdammt, das ist nicht wahr.«
»Unglücklicherweise für uns alle hat Vincent dafür gesorgt, daß es wahr ist. Kein Mensch kann dich daran hindern, Sam Hatchard zu heiraten, Jessie. Aber ich frage mich, wie lange du deine Phantasien aufrechterhalten kannst. Wie lange wird es dauern, bis du unweigerlich erkennst, daß Sam Hatchard dich nie geheiratet hätte, wenn du nicht Benedict Fasteners als Mitgift mit in die Ehe bringen würdest.«
»Tante Glenna, das ist nicht fair.«
»Es tut mir leid, Jessie. Ich bin Ärztin, keine Wahrsagerin, die in eine Kristallkugel schaut und den Leuten das sagt, was sie hören wollen. Das kann deine Mrs. Valentine machen, ich nicht. Mein Beruf ist es, die wahren Motive von Menschen zu beurteilen, auch wenn diese es vorziehen, sich selbst und andere in dieser Hinsicht zu belügen.«
Glenna ging zur Tür hinaus und machte sie sehr leise hinter sich zu.
»Warte, Tante Glenna!« Jessie rannte um den Schreibtisch herum und riß die Tür auf. Sie eilte zum Treppengeländer und beugte sich darüber, um hinter ihrer Tante herzurufen: »Was für ein Motiv hast du denn bei dem Ganzen? Warum bist du so verdammt verbittert, daß sich die Dinge so entwickelt haben?«
»Ich wollte nie, daß es so kommt.« Glenna drehte sich nicht um, während sie die Treppe hinunterging.
»Warum denn nicht? Du wolltest doch auch, daß Benedict Fasteners in der Familie bleibt. Du hast es mir doch selber gesagt.«
Am Fuß der Treppe angelangt, blieb Glenna stehen und wandte sich um. Zum ersten Mal zeigte ihr Gesicht nicht mehr die Maske kühler Selbstbeherrschung. Einen Augenblick lang funkelten ihre Augen vor Zorn, und
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