Leidenschaft des Augenblicks
Butterfield College. Sie war eine magere, farblos aussehende junge Frau mit hellen, mißtrauischen Augen, blassem, strähnigem Haar und schlechter Haut. Ja, sie würde mit Jessie reden, wenn diese bis zu ihrer Pause warten wolle.
Um die Zeit totzuschlagen, bestellte Jessie eine Tasse Kaffee, wünschte sich aber bereits nach dem ersten Schluck, sie hätte etwas anderes gewählt. Prompt begannen ihre Nerven verrückt zu spielen. Eine Tasse von Hatchs Gebräu hatte offensichtlich bereits ihre Tagesdosis an Koffein enthalten. Kein Wunder, daß der Mensch in der Lage war, vierzehn Stunden am Tag zu arbeiten.
Jessie saß vor ihrer fast vollen Tasse Espresso, beobachtete müßig die verschiedenen Studententypen an den anderen Tischen und dachte darüber nach, wie Mrs. Valentine auf die Neuigkeit von dem Einbruch reagiert hatte. Doch ihre Reaktion war für Jessie eine einzige große Enttäuschung gewesen.
»Du liebe Güte«, hatte Mrs. Valentine gesagt und ganz erschrocken ausgesehen. »Ich hoffe, der nette Alex Robin ist nicht ernstlich verletzt.«
»Es geht ihm gut, Mrs. Valentine. Er arbeitet schon wieder«, hatte Jessie ihr versichert. Ihr war klargeworden, daß Mrs. Valentine keinerlei übersinnliche Ahnungen bezüglich des Vorfalls hatte, und sie war zu dem Schluß gekommen, daß es besser sei, die vage Möglichkeit einer Verbindung zwischen dem Einbruch und ihrer Arbeit an dem DEL-Fall nicht zu erwähnen. Schließlich wollte sie die Frau nicht unnötig aufregen. Eine gute Assistentin hielt ihrer Chefin sowieso die kleinen alltäglichen Ärgernisse vom Hals.
Jessie war schon nahe daran, vor Langeweile einen weiteren Schluck Espresso zu riskieren, als sie Nadine Willard endlich auf sich zukommen sah.
»In Ordnung, ich denke, ich habe jetzt ein paar Minuten Zeit für Sie.« Nadine nahm gegenüber von Jessie Platz. »Sie wollten etwas über Susan Attwood wissen?«
»Genau. Ihre Mutter macht sich große Sorgen, weil sie jetzt bei diesen DEL-Leuten ist. Haben Sie Susan gut gekannt?«
»Nein, eigentlich nicht. Und ich glaube auch nicht, daß irgend jemand Susan wirklich gut kannte. Sie ist nicht der Typ, der leicht Freundschaften schließt. War immer sehr zurückhaltend. Wir waren im Wintersemester zusammen in einem Kurs. Als die DEL-Leute das erste Mal auf dem Campus waren, ging ich zu einem Seminar von ihnen, und dort traf ich Susan. Wir haben uns danach kurz über die Sache unterhalten.«
»Haben Sie denn auch erwogen, DEL beizutreten?«
Nadine schüttelte den Kopf. »Nee. Ich war bloß neugierig. Sie wissen schon. Ich meine, jeder weiß, daß unsere Umwelt in Gefahr ist, aber was kann man schon groß dagegen tun? Susan aber war von Anfang an fasziniert. Sie hat versucht, mich dazu zu überreden, mit ihr zusammen die Einladung anzunehmen.«
»Was für eine Einladung? Der Gruppe beizutreten?«
»Nein. Es war so etwas wie eine Tour durch die DEL-Einrichtungen, wissen Sie. Sie fuhr zu der Insel raus und war so beeindruckt, daß sie dortbleiben und für die Organisation arbeiten wollte.«
»Insel? Was für eine Insel?« Jessie wurde immer aufgeregter, zwang sich aber zur Ruhe. Sie mußte die Sache Schritt für Schritt angehen und sich Notizen machen. Privatdetektive machten sich immer Notizen. Hastig zog sie ihren Block und einen Bleistift aus der Handtasche.
»Die DEL-Foundation besitzt eine Insel auf den San Juan Islands.«
»Eine ganze Insel?«
»Logo. Ist aber nichts so Besonderes, wissen Sie. Da draußen gibt es eine ganze Menge Inseln, die in Privatbesitz sind, nehme ich an. Jedenfalls braucht man eine besondere Einladung, um dort an Land zu gehen und die Einrichtungen besichtigen zu dürfen.«
»Und wo bekommt man so eine Einladung?« fragte Jessie und klopfte nervös mit dem Stift auf die Tischplatte.
»Bei einem DEL-Vortrag, schätze ich. Aber hier haben sie schon länger keinen mehr abgehalten. Vielleicht suchen sie jetzt auf dem Gelände eines anderen College nach Mitgliedern?« Nadine zuckte mit ihren mageren Schultern.
»Mist. Ich nehme an, Sie haben nicht noch irgendwelche Broschüren oder sowas von dem Vortrag, bei dem Sie damals waren? Irgend etwas mit einer Telephonnummer oder einer Adresse drauf?«
»Ich bezweifle es. Es hat mich nicht interessiert, deshalb habe ich es auch nicht aufgehoben.«
»Mist«, sagte Jessie wieder. »Entschuldigung.«
Nadine schwieg einen Moment. »Sie können meine Einladung haben, wenn Sie wollen. Ich habe sie nie benutzt.«
»Was?« Jessie ließ vor
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