Leidenschaft des Augenblicks
Er ist ganz genau wie Dad. Du würdest doch sicher nicht wollen, daß ich denselben Fehler begehe wie Mom und du, oder?«
Constance zog die Augenbrauen hoch. »Ich hatte gedacht, es würde langsam ernst zwischen dir und Hatch.«
»Nichts als Spekulationen - Klatsch und Tratsch. Das Gerücht hat Dad in die Welt gesetzt. Ich würde Hatch niemals heiraten, nicht einmal dann, wenn er der letzte Mann auf der Welt wäre.«
Constance entspannte sich. »Gut. Klingt, als käme doch noch alles in Ordnung. Das freut mich. Ich mag Hatch gut leiden, und Benedict Fasteners braucht ihn dringend. Wir alle brauchen ihn.«
»Verdammt, Connie. Ich habe doch gesagt, daß ich nicht im Traum...«
Doch ihr Protest war umsonst. Constance hatte bereits die Tür hinter sich geschlossen.
6. Kapitel
Um halb neun Uhr abends saß Jessie immer noch hinter ihrem Schreibtisch in Mrs. Valentines Büro. Wohl oder übel mußte sie nun zugeben, daß sie versagt hatte. Ihr Vater hatte bis jetzt nicht zurückgerufen.
Sie war nicht einmal in der Lage gewesen, ihn persönlich an den Apparat zu bekommen. Grace, seine Sekretärin, hatte sie nicht durchgestellt. Jetzt war es halb neun Uhr abends und damit ganz offensichtlich, daß ihr Vater nicht mit ihr sprechen wollte. Sicher saß er noch an seinem Schreibtisch, aber er nahm das Telephon nicht ab.
Jessie kannte dieses Verhaltensmuster nur zu gut. Er würde sich erst nach dem Wochenende bei ihr melden. Dann freilich würde er sich wortreich entschuldigen und ihr erklären, daß er geschäftlich unterwegs gewesen sei. Und daß das Geschäft für ihn immer an erster Stelle kam, war ja allgemein bekannt.
Die ganze alte Wut und der Schmerz aus ihrer eigenen Kindheit stiegen wieder in ihr auf. Meistens gelang es ihr, sie zu verdrängen, aber jedesmal, wenn Elizabeth dieselbe Zurückweisung drohte, kam alles wieder hoch.
»Mistkerl.« Jessie nahm einen Stift in die Hand und schleuderte ihn quer durchs Zimmer. Draußen ging der milde Spätfrühlingstag zu Ende. Es wurde allmählich dunkel, und es fing an zu regnen. Wenigstens hatte sich endlich der häßliche gelbe Smog aufgelöst, der die letzten paar Tage über der Stadt gehangen hatte.
Jessie stand auf und ging in Mrs. Valentines Büro. Dort öffnete sie die unterste Schublade des Schreibtischs und nahm die Sherryflasche heraus, die ihre Arbeitgeberin dort - zu rein medizinischen Zwecken - aufbewahrte.
Jessie goß einen kräftigen Schuß Sherry in ihre Kaffeetasse und legte die Flasche wieder an ihren Platz. Dann ging sie zurück an ihren Platz, schaltete das Licht aus, legte die Füße auf den Schreibtisch und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Schluck um Schluck trank sie langsam den Sherry. Lange saß sie so da und blickte durchs Fenster. Draußen senkte sich die Dunkelheit über die Stadt. Wie schwarzer Nebel schien sie auch ins Büro zu dringen und nach und nach alles zu verschlingen.
»Du Mistkerl«, flüsterte Jessie und kippte einen weiteren Schluck Sherry hinunter.
Als sie draußen Schritte hörte, achtete sie nicht weiter darauf. Es war zweifellos Alex auf dem Weg zur Toilette. Er nahm bestimmt an, sie sei schon vor Stunden nach Hause gegangen.
Sie wartete darauf, daß die Schritte sich wieder entfernten. Doch wer immer da draußen war, blieb vor der Milchglastür zu ihrem Büro stehen. Zu spät fiel Jessie ein, daß sie nicht abgesperrt hatte.
Jessie erkannte den Schatten eines großen Mannes. Sie hielt den Atem an und überlegte fieberhaft, ob sie aufspringen und rasch die Tür verschließen sollte - wodurch sie allerdings ihre Anwesenheit verraten hätte -, oder ob es klüger wäre, sich ganz ruhig zu verhalten und still zu hoffen, daß er wieder gehen würde.
Sie zögerte zu lange. Die Tür ging auf - und Hatch kam ins Zimmer. Er hatte sein Sakko lässig über die Schulter geworfen, sein Hemd stand oben offen, und die Krawatte hing locker um seinen Hals.
»Hast du deine Arbeitszeit auf den Abend verlegt?« fragte er ruhig.
»Nein.«
Er blieb stehen und blickte sich im Büro um. »Die Szene hier erinnert mich an einen abgedroschenen Detektivroman«, sagte Hatch. »Hier sitzt unsere knallharte Heldin und kippt von Zeit zu Zeit einen Schluck Alkohol. Die Flasche bewahrt sie in ihrer Schreibtischschublade auf. Sie ist ganz und gar in Gedanken versunken und sinniert über das schwere Leben eines Privatdetektivs.«
»Es überrascht mich, daß du Zeit findest, noch etwas anderes als das Wall Street Journal zu lesen«, murmelte
Weitere Kostenlose Bücher