Leidenschaft in den Highlands
bekannten Gesichter zu sehen, die ihn seit seiner Jugend begleitet hatten! Menschen, die er liebte, allen voran sein Vater Vincent MacCallen und sein jüngerer Bruder Rory.
Mehr als ein Jahrzehnt lang hatte Ewan als Chieftain über Skye geherrscht. Dann hatte sein Vater ihn zum Hauptsitz der Familie zurückbeordert, damit er seine Nachfolge antreten konnte, weil er sich schwach und krank gefühlt hatte. Wenig später war er verstorben. Rory, so hatte der alte MacCallen sich das ausgedacht, sollte Ewans Platz auf der Insel Skye einnehmen.
Sein Leben lang war Ewan auf diese Aufgabe vorbereitet worden. Und als er schließlich gekommen war, hatte er Stolz empfunden. Stolz auf seinen Clan, sein Land und seinen Vater. Auf alles, was die MacCallens über die Jahrzehnte hinweg erreicht hatten und auf ihr gutes Verhältnis zum Königshaus. Darauf, dass sie letztlich zu einem der mächtigsten Clans im Nordwesten aufgestiegen waren.
Zu jener Zeit war er ein Mann gewesen, der sorglos, zuweilen sogar humorvoll und charmant sein konnte, der sich und seinen Körper gepflegt hatte. Seine Hand glitt durch die verfilzten Haare seines Vollbartes, in dessen Knoten seine Finger unweigerlich hängenblieben.
Heute stank er nach Alkohol und Schweiß. Er fühlte sich ausgelaugt und spürte doch immerzu diese zerstörerische Wut in sich, über die er manchmal selbst erschrak.
Genaugenommen war es gut, dass Avery ihn nichterkannt hatte. Der Schrecken in ihren Augen hätte ihn daran erinnert, was seine ungesunde Lebensweise und der Hass aus ihm gemacht hatten. Sah er in einen Spiegel, erkannte er sich nicht wieder. Er war ein anderer geworden.
Er würde aus diesem Sumpf nicht mehr herauskommen, selbst dann nicht, wenn ihm jemand einen Ast reichte, an dem er sich festhalten konnte. Mit Elisabeth war auch der Teil von ihm gestorben, der menschlich gewesen war. Zurückgeblieben war einzig eine leere Hülle, die einem Mann gehörte, der sich an nichts mehr erfreuen konnte, der nichts empfand außer Wut und Schmerz.
Aye, der Schmerz war beinahe noch unerträglicher als der Hass. An manchen Tagen spürte er ihn so stark, dass es ihn an den Rand einer Ohnmacht trieb. Dann ritt er aus und suchte Streit, wo immer er ihn finden konnte, um sich den Schädel einschlagen zu lassen oder jemand anderem das Genick zu brechen.
Alle wichtigen Männer des Clans und ihre Frauen waren gekommen, um sich von Chief William MacBaine zu verabschieden. Mit starren Mienen standen sie vor dem steinernen Sarg.
Es war finster in der Krypta. Nur wenige Kerzen brannten. Die Luft war schwer und stickig.
Avery blickte sich um und sah unter den Anwesenden auch Chieftain Amus MacBaine, der ein Neffe Williams war. Ihr Verhältnis zu dem jungen Mann, der etwa in ihrem Alter sein mochte, war schon immer sehr angespannt gewesen. Er war impulsiv und ungeduldig, ja richtiggehend cholerisch. Avery hatte sich in seiner Gegenwart noch nie wirklich wohl gefühlt.
Heute wirkte er jedoch genauso erschüttert wie alle Versammelten, obgleich er im Gegensatz zu den anderen Chieftains nicht in seinem Plaid erschienen war. Er hatte sich vielmehr in einen edlen Rock gekleidet, in dem er beinahe wie ein Engländer aussah – ein Umstand, der ihm viele missgünstige Blicke einbrachte.
Aber Amus ging es weniger darum zu provozieren, als vielmehr seinen modischen Geschmack zur Schau zu stellen. Er war einer der wenigen Männer des Clans, die Wert auf ihre Erscheinung legten und sich stets gemäß der neuesten Mode kleideten. Nie sah man ihn unrasiert oder mit ungewaschenem Haar. Er badete oft, so dass er kaum einen Eigengeruch entwickelte. Seine Statur vermittelte den Eindruck, als sei er eher ein Gelehrter als ein Kämpfer, obgleich Avery wusste, dass er regelmäßig trainierte. Die körperliche Unterlegenheit kompensierte er durch seinen ausgeprägten Ehrgeiz und einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst.
Sie rätselte, woher er den nahm. Amus, so schien es, hielt sich für die Krone der Schöpfung. Auch wenn er das nie sagte, ließ er es sein Gegenüber doch bei jeder Gelegenheit spüren. Er strahlte eine unangenehme Form von Überlegenheit aus.
Gutgemeinte Ratschläge erfahrener Chieftains schlug er in den Wind. Denn wie jedes Mitglied der Familie MacBaine besaß er einen außerordentlichen Sturkopf, der ihm schon so manche Kneipenschlägerei und sogar zweimal eine gebrochene Nase eingebracht hatte.
Amus hatte sich zwischen der hochschwangeren Ann, die mit ihrem Gemahl
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