Leidenschaft in den Highlands
vertraut. Völlig gleich, welche Entscheidung er fällte«, sagte Liam und klang beinahe empört.
»Ist dem so? Warum zweifelt ihr dann seine letzte Entscheidung an?«
Wie erwartet, löste ihre Äußerung heftige Diskussionen aus. Schon bald spaltete sich die Versammlung in zwei Hälften. Eine Partei hielt zu William und zu ihr, die andere wollte mit der Tradition nicht brechen.
Amus und seine Anhänger behaupteten, eine Frau an der Spitze würde der Glaubwürdigkeit der MacBaines, die als traditionell galten, schaden. Zudem zweifelte man an, dass andere Clanchiefs einen weiblichen Chief ernst nehmen würden.
Avery beobachtete den Zwist stumm. Die Männer kamen zu keiner Einigung. Im Gegenteil, sie wurden immer lauter. Wenn es so weiterging, würden sie sich bald die Schädel einschlagen!
So, wie es aussah, würde MacCallen also leichtes Spiel haben. Wenn der Clan in sich zerstritten war, konnten sie ihm nichts mehr entgegensetzen.
»Wir kommen heute zu keinem Schluss«, sagte Avery und knirschte mit den Zähnen. »Vertagen wir die Abstimmung auf morgen, wenn sich die Gemüter abgekühlt haben.«
Niemand schien sie zu hören. Die Männer debattierten einfach weiter und bemerkten nicht einmal, dass sie aufstand und ging.
Als Avery die Halle verließ, waren ihre Nerven angespannt. Sie hatte es mit einem Rudel wilder Wölfe zu tun, von denen sich jeder am liebsten selbst auf den Thron gesetzt hätte. Ernüchtert lehnte sie sich einen Moment erschöpft gegen die Wand und schloss die Augen. Wie hatte ihr Vater nur diese Horde unter Kontrolle halten können? Wie war es ihm möglich gewesen, Entscheidungen zu fällen, wenn sich immer irgendjemand dagegenstellte?
Vielleicht war sie tatsächlich noch nicht für die Führung bereit. Averys Tränen ließen sich nicht länger zurückhalten. Sie löste sich von der Wand und schritt weinend die steinerne Treppe hinauf. Wieso zweifelten die Männer plötzlich an ihren Fähigkeiten?
Hatte sie nicht oft genug bewiesen, dass sie eine von ihnen war? Sie kämpfte wie ein Mann, sie ritt wie ein Mann, sie soff wie ein Mann, sie vertrug sogar mehr als Amus, und sie fällte Entscheidungen wie ein Mann. Herrgott, sie sah in ihrem Plaid sogar aus wie einer von ihnen! Noch nie hatte es die Männer gestört, dass sie in ihrer Runde saß. Warum waren sie ihr heute mit offener Feindschaft begegnet?
Wahrscheinlich hatten sie Avery nie wirklich akzeptiert. Man hatte sie lediglich geduldet, weil ihr Vater seine schützende Hand über sie gehalten hatte. Und sie war zu blauäugig gewesen, um das zu erkennen. Verlogenes Pack! Sie nahm zwei Treppenstufen auf einmal, während die Tränen gar nicht mehr versiegen wollten.
Sie wusste kaum, wie sie bis zu ihrem Gemach gelangt war. Mit dem Fuß stieß sie die schwere Holztür auf und warf sich in ihr Bett. Ihr tränennasses Gesicht vergrub sie in ihrer Decke.
Sie hasste es, wie ein Weib zu heulen. Aber was blieb ihr noch?
Amus würde es irgendwie gelingen, die Chieftains gegen sie aufzubringen. Er setzte alles daran, sie schlechtzumachen. So war es früher, so würde es heute sein. Warum hasste der junge Mann sie derart? Was hatte sie ihm jemals getan?
Ein sachtes Klopfen an der Tür schreckte Avery aus ihren Gedanken. Sie war zu erschöpft, um zu fragen, wer da war, geschweige denn, sich aufzusetzen. Den Kopf im Kissen verborgen, hörte sie das Knarren der Tür, dann leise Schritte.
Plötzlich spürte sie eine kleine Hand, die zärtlich ihren Rücken streichelte. Erstaunt drehte sie sich um und blickte in Anns wunderschönes, gütiges Gesicht, das strahlte wie die Sonne. Ihre blauen Augen leuchteten förmlich, und ihr mildes Lächeln erwärmte Averys Herz.
Anns Hand wanderte nun zu ihrer feuchten Wange,auf der sie eine wässrige Perle einfing, die sich auf dem Weg hinab befunden hatte.
Avery schloss noch einmal kurz die Augen. Sie schämte sich ihrer Tränen wegen und bemühte sich, sie hastig fortzuwischen. Eine Kriegerin weinte nicht!
»Ich habe das Türknallen gehört und dachte mir, ich sollte besser nach dir sehen.«
Averys Mundwinkel zogen sich hoch. Wie froh sie war, eine so fürsorgliche Schwester zu haben! Dennoch wollte der Strom von Tränen einfach nicht abreißen. »Es geht mir gut«, presste sie heiser hervor und öffnete die Augen.
Anns skeptischer Blick sprach Bände. Aber sie war klug genug, Avery nicht zu drängen. Sie wusste aus Erfahrung, dass sich Avery zwar schnell öffnete, aber auch genauso schnell wieder
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