Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
hätten.«
»Genauer gesagt waren es 103 Pralinen: sieben einzelne Kugeln und zwei Kästchen mit jeweils 48 Pralinen Inhalt. Sie steckten in einer Tasche, an der Joop van der Miels Namensschild baumelte.«
»Hat der etwa damit gedealt?«, fragte Geiger.
»Na ja, dealen ist sicherlich nicht unbedingt die richtige Bezeichnung für den Verkauf von handelsüblichen Waren«, belehrte sein Vorgesetzter. »Diese Pralinen kannst du garantiert in jedem Drogerie- oder Supermarkt kaufen.« Er wandte sich an Michael Schauß. »Hat eigentlich die Befragung der Putzfrau neue Erkenntnisse erbracht?«
»Nein.«
»Lenk nicht ab, Wolf«, sagte Mertel. »Was hat es mit dieser Schokolade auf sich?«
Tannenberg unterrichtete seine Mitarbeiter über die Obduktionsergebnisse des Rechtsmediziners und fügte abschließend hinzu: »Die Schokoladenreste im Magen des Mordopfers waren mit Arsen kontaminiert.«
»Dann haben wir es also mit einem Mordanschlag und einem Mord zu tun – an ein und derselben Person«, bemerkte Geiger.
»Quasi so etwas wie ein Doppelmord«, versetzte Michael Schauß grinsend.
Geiger errötete, ließ sich aber von seinem Diensteifer nicht abbringen. »Warum hat man ihn umgebracht, wenn er sowieso nicht mehr lange zu leben hatte?«
»Umgekehrt wird vielleicht eher ein Schuh draus«, bemerkte sein Chef. »Vielleicht musste er gerade deshalb sterben, weil er schon bald gestorben wäre.«
»He?«, stieß der Kriminalhauptmeister verständnislos aus.
»Also, nun mal für dich, mein lieber Geiger, das Ganze extra langsam und transparent: Die Kenntnis von der Tatsache seines baldigen Ablebens hat den Mechaniker möglicherweise dazu verleitet, Dinge zu tun, die er ohne diese Gewissheit nicht getan hätte.«
Geigers verdutzte Mimik sprach weiterhin Bände.
»Dadurch war ihm vielleicht alles egal und er hat eine Erpressung durchgeführt oder mit der Veröffentlichung seines Insiderwissens gedroht«, spekulierte Tannenberg. »Man munkelt ja schon seit einigen Jahren, dass in dieser extrem erfolgreichen Radfahrertruppe gedopt wird – und zwar bis zur Unterkante Oberlippe.«
»Glauben Sie, dass da was dran ist?«
»Für Glaubensangelegenheiten bin nicht ich zuständig, sondern ein Pfarrer«, gab der Kommissariatsleiter zurück. Er zeigte mit dem Finger auf den Kriminaltechniker. »Karl, deine vordringliche Aufgabe besteht nun darin, die sichergestellten Pralinen auf Arsenrückstände hin zu untersuchen.«
»Zu Befehl, Herr Oberst«, schmetterte Karl Mertel im Kasernenhofton. Parallel dazu schlug er die Hacken zusammen und untermauerte seinen Kadavergehorsam mit einem militärischen Gruß.
Kopfschüttelnd machte Tannenberg eine ausladende Handbewegung über die Köpfe seiner Mitarbeiter hinweg. »Und wir alle müssen noch mal raus zum Antonihof. Aber zuvor besorge ich mir erst noch eine richterliche Durchsuchungsanordnung.« Strahlend knetete er seine Hände. »Darüber werden sich der Hollerbach und sein Staranwalts-Spezi sicherlich sehr freuen.«
8. Etappe
Vier Zivilfahrzeuge und fünf Streifenwagen fuhren in den Hotelparkplatz ein. Tannenberg versammelte die Polizeibeamten um sich und wies sie an, bei den Haus- und Fahrzeugdurchsuchungen insbesondere auf Schokopralinen der Marke ›Felix‹ und auf Socken jedweder Art zu achten, besonders auf solche, die einen Ölfleck aufwiesen.
Wolfram Tannenberg hatte gerade seinen letzten Satz beendet, als die Radsportler und deren Begleitfahrzeuge auf dem Parkplatz eintrafen. Da die Rennräder aufgrund der Anordnung des Oberstaatsanwaltes bereits am frühen Nachmittag wieder zu Trainingszwecken freigegeben worden waren, nutzte das Turbofood-Team die darauf folgenden Stunden zu einer ausgedehnten Trainingsfahrt ins Elsass. Die Rennfahrer erweckten einen abgekämpften, ausgemergelten Eindruck. Jenny, die das Team erwartete, reichte Handtücher und versorgte die ausgepowerten Leistungssportler mit Getränken.
Pieter Breedekamp, der zweite Mechaniker des Teams, nahm die Hightech-Räder in Empfang. Da der Kellerraum noch immer versiegelt war, begann er, die superleichten Karbon-Rennräder im Service-Lkw zu verstauen. Doch Mertel klärte ihn darüber auf, dass sich die Durchsuchungsanordnung auch auf alle Fahrzeuge des Teams bezog.
In Begleitung einiger seiner Kollegen schlenderte Tannenberg bewusst lässig an dem Pulk der Rennfahrer vorbei zur Rezeption und zeigte dem Hotelmanager die richterliche Verfügung. Anschließend bat er den sichtlich geschockten Mann, die
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