Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
bei mir habt ihr keine Chance, kommentierte der Kaiserslauterer Ermittler in Gedanken, während er dem athletischen, mit einem dunklen Anzug bekleideten Mann durch lange und triste Flure folgte. Für mich werdet ihr immer aufgeblasene Klugscheißer bleiben, klebte er trotzig an seinem Feindbildszenario.
Am Ende des Korridors blieb Tannenbergs Begleiter vor einer Tür stehen und klopfte. Neben dem Türrahmen hing ein Schild mit der Aufschrift ›KD Heribert Wagner, Abteilungsleiter OK IV‹.
Statt einer herrischen Stimme, die in barschem Ton zum Eintreten aufforderte, öffnete sich die Bürotür und ein stattlicher Mann in Tannenbergs Alter lächelte ihn an.
»Schön, dass Sie gleich zu uns gekommen sind«, sagte Wagner und streckte seinem Besucher freundschaftlich die Hand entgegen. Tannenberg packte sie und drückte sie so fest er nur konnte. Doch der ebenfalls schwarz gewandete BKA-Beamte hielt mit einem schraubstockartigen Griff dagegen.
»Wow, nun auch noch Kriminaldirektor – Respekt, Respekt«, höhnte der Leiter des K 1, der seinerseits nicht die geringsten Karriereambitionen verfolgte. »Abteilungsleiter Organisierte Kriminalität«, schob er nickend nach. »Und was bedeutet ›IV‹?«
»Kommen Sie doch erst mal rein und nehmen Sie Platz«, überspielte Wagner die unverhohlene Provokation. »Darf ich Ihnen etwas anbieten?«
»In dieser noblen Bundesbehörde kann man doch sicher einen doppelten Espresso bekommen, oder?«, erwiderte Tannenberg, noch immer auf Konfrontationskurs.
»Aber selbstverständlich«, antwortete Heribert Wagner, öffnete einen Schrank, in dem sich neben einem Waschbecken auch eine Espressomaschine verbarg. »Du auch, Jens?«, fragte er seinen Mitarbeiter.
»Nein, danke, hab heute schon genug Koffein intus«, kam es postwendend zurück.
Heribert Wagner stellte das frisch gebraute Getränk sowie einen Zuckerstreuer und eine Keksdose vor seinen pfälzischen Kollegen. Er nahm nun ebenfalls an dem gläsernen Besuchertisch Platz und hob den Dosendeckel ab.
»Greifen Sie zu«, forderte er seinen Gast auf. »Original italienische Cantuccini. Von der italienischen Mutter einer meiner Mitarbeiterinnen nach altem toskanischen Familienrezept gebacken.«
»Wirklich nett, so ein Kaffeekränzchen in Wiesbaden«, versetzte Tannenberg, ohne die Kekse anzurühren. »Aber deshalb musste ich wohl nicht hierherrasen.«
»Nein, natürlich nicht, Herr Hauptkommissar«, entgegnete Heribert Wagner von einem duldsamen Lächeln begleitet. »Aber lassen Sie mich zunächst noch kurz Ihre Frage beantworten.«
Seinem Gegenüber war diese offensichtlich nicht mehr präsent, denn der krauste irritiert die Stirn.
Der BKA-Beamte half ihm aus der Patsche: »Sie wollten wissen, wofür die Bezeichnung ›IV‹ steht, nicht wahr?«
»Ja«, erwiderte Tannenberg.
Wagners Gesicht nahm einen förmlichen Ausdruck an. »Unsere Abteilung beschäftigt sich mit dem Bereich ›illegaler Arznei- und Dopingmittelhandel‹, der Teil der international agierenden OK ist.«
Tannenberg ließ lediglich ein tiefes Brummgeräusch verlauten.
»Übrigens ein hochprofitabler und schnell wachsender krimineller Markt, der vor allem von osteuropäischen und fernöstlichen Mafia-Clans beherrscht wird. Gerade in den letzten Jahren hat das internationale Doping-Geschäft riesige Ausmaße angenommen. Die Doping-Kartelle agieren wie weltumspannende Kraken, die den gesamten Markt unter sich aufgeteilt haben. Ihr Vertriebssystem funktioniert im Prinzip ähnlich wie der Handel mit Heroin, Kokain und so weiter. Ihr Einfluss reicht inzwischen bis in die Spitzen von Politik und Wirtschaft.«
»Schön und gut. Aber warum erzählen Sie mir das alles? Im Gegensatz zu Ihnen habe ich für gewöhnlich mit weitaus provinzielleren und profaneren Dingen zu tun, zum Beispiel mit drei Mordfällen.«
»Ich weiß.«
»Nichts wissen Sie«, blökte Tannenberg und schlug mit der Faust auf den Tisch. Seine Stimme schwoll noch stärker an. »Und zwar mit Mordfällen, die sich nicht in Shanghai oder Moskau ereignet haben, sondern in meiner geliebten Pfalz – und somit direkt vor meiner eigenen Haustür.«
Sein Kopf lief rot an. »Seit dieser Scheiß-Dienstanweisung darf ich noch nicht mal mehr ermitteln, verdammt und zugenäht! Und dann labern Sie mich hier mit irgendwelchem OK-Schrott voll. Ihre Mafiaprobleme sind mir im Moment schnurzpiepegal.«
Wolfram Tannenberg stützte sich mit bedrohlichem Gesichtsausdruck auf die Ellenbogen und kippte dabei
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