Leipziger Affären - Kriminalroman
bebenden Händen den Schlüssel ins Schlüsselloch stecken konnten. Kaum eingetreten, knallte sie die Tür hinter sich zu und schloss sogleich wieder ab.
Hastig kletterte sie über Tüten und Taschen und warf alles, was ihr im Wege stand, beiseite. Sie kämpfte sich zum Fenster vor. Dort hatte sie ihren Plan geschmiedet. Dort, irgendwo in dem Durcheinander auf dem Nachttisch musste das Buch noch liegen.
Fleur fegte den Stapel Zeitschriften vom Tisch, ein Teller mit dem angetrockneten Rest eines Spiegeleis landete daneben und zersprang. Sie bückte sich und wühlte die Zeitschriften durch. Zwischen einem Modeheft und einem Boulevardblatt fand sie endlich das Buch. Es war zerfleddert und voller Flecke, ein altes Lehrbuch, das sie im Müll des Nachbarhauses gefunden hatte. Der Gärtnersohn hatte eine Ausbildung zum Elektroinstallateur angestrebt, aber vorzeitig abgebrochen.
Aufgeregt blätterte sie darin herum, bis sie die Stelle entdeckte, die sie auswendig kannte. Sie fuhr mit dem Zeigefinger die Zeilen entlang.
»Schutzleiter grün-gelb, Nullleiter blau, Phase braun.«
Genau so hatte sie es im Stecker des Wasserkochers vorgefunden.
»Mit einem Schraubendreher die Schraubklemmen lösen, die Leiter gemäß Vorgabe unter die Schraubklemmen legen und festschrauben.«
Sie hatte alles wie beschrieben getan, allerdings den Schutzleiter mit der Phase vertauscht. Lebensgefahr , so stand es in dem Buch. Es war schwer gewesen, den Stecker so zusammenzuschrauben, dass das Kabel nicht wieder herausrutschte. Alle Mühe umsonst.
»Kein Verlass auf den Müll«, knurrte sie und warf das Buch in eine Ecke.
Sie kroch zurück zur Tür, baute sich vor dem dort hängenden blinden Spiegel auf und musterte sich.
Vertrocknete Jungfer, hatte Alexa gesagt. Gewiss, sie war nicht so schön wie Alexa. Ihr Haar hatte einen stumpfen mausgrauen Ton. Die Nase war zu spitz geraten und stach wie ein Pfeil aus ihrem dürren Gesicht. Langsam fuhr Fleur mit den Zeigefingern die Falten entlang, die sich von ihren Nasenflügeln zum Mund zogen. Sie krallte die Finger in ihre Haut, als könne sie sie wie eine Maske abstreifen. Stechender Schmerz durchzuckte ihren Kopf.
Fleur starrte auf die roten Abdrücke, die ihre Nägel auf ihren Wangen hinterlassen hatten. Alexa hatte ganz recht, sie war alt und hässlich. Doch sie konnte nicht zulassen, dass ihr das wenige, was ihr geblieben war, genommen wurde.
Sie wandte sich um und überflog die Schätze, die sie im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte. Ihr ganzes Hab und Gut, das für andere lediglich ein Haufen Abfall war. Sie sah Alexas alte Kleidungsstücke, die wie bunte Flecken aus dem Blau der Müllsäcke hervorstachen.
Alexa war zu einem Problem geworden, und Probleme musste man lösen.
ZWANZIG
Henne hatte beschlossen, den Tag zu nutzen, um sich in Form zu bringen. Schwimmen war ihm endgültig verleidet, und so blieb noch Laufen. Er war in seinen Trainingsanzug gestiegen, hatte die Turnschuhe geschnürt und joggte mit Dschingis am Ufer der Pleiße entlang. Noch war es trocken, doch am Horizont türmte sich bereits eine Wolkenfront, die ausgiebigen Regen versprach.
»Los, mein Junge, gib Gas«, keuchte Henne. Seit zehn Minuten kämpfte er mit Seitenstechen, aber bis zur Brücke wollte er noch durchhalten.
Dschingis spitzte die Ohren, dann setzte er zum Spurt an. Die Hundeleine ruckte, Henne stolperte und ließ sie los. Dschingis raste davon. Die Leine zog er wie einen Schweif hinter sich her.
»Bei Fuß!«, brüllte Henne, obwohl er wusste, dass er keine Chance hatte. Wenn Dschingis losstürmte, hatte er immer das Nachsehen.
Dschingis hatte ein Opfer gefunden. Aufgeregt bellend sprang er um eine Frau mit braunem, kurzen Haar herum. Die sprach beruhigend auf ihn ein. Im Näherkommen erkannte Henne Miriam Jakob. Wie er war sie in Laufkleidung, allerdings machte sie eine weit bessere Figur. Er zog den Bauch ein.
»Hallo«, begrüßte er sie und versuchte, seine Stimme möglichst normal klingen zu lassen.
»Selbst hallo.«
Ihr Lächeln ließ sein Herz hüpfen. Er schob es auf die Anstrengung des Sprints. »Was machst du hier?«
»Joggen, schätze ich, genau wie du. Wir haben viele Gemeinsamkeiten. Hast du das noch nicht bemerkt?« Miriam klang sarkastisch, geradezu verbissen. Sie vereinnahmte ihn mit einer Selbstverständlichkeit, die ihn ärgerte. Sie qualmte Zigaretten und sie kiffte sich zu. Alles Eigenschaften, die er nicht gerade schätzte. Trotzdem zog es ihn zu ihr hin.
Er hatte
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