Leipziger Affären - Kriminalroman
Fleur gab die Suche auf. Sie hatte ohnehin keine Lust auf Tee mehr.
Fleur ließ sich auf den Boden vor das Bett fallen. Genau genommen war dazu kein Platz vorhanden. Sie hockte auf den Fersen, den Oberkörper an einen fast bis zum Platzen gefüllten Müllsack gelehnt, von dem ein unangenehmer Geruch ausging. Es störte sie nicht. Die dunklen Gedanken hatten längst wieder Besitz von ihr ergriffen.
ZEHN
Henne stand an seinem Lieblingsgrill vor der Handelsbörse, in der Hand einen Pappteller mit einer knusprigen Bratwurst nebst Brötchen und reichlich Senf. Genussvoll biss er in die Wurst. Der Saft spritzte. Er beugte sich vornüber, um seine Kleidung zu schützen. Fettflecke würden Erika verraten, dass er gesündigt hatte. Neulich erst hatte sie ihm vorgerechnet, wie viele Kalorien eine Bratwurst hatte. Er hatte nicht zugehört, solche Dinge interessierten ihn nicht. Nur Erikas vorwurfsvoller Ton, der war ihm im Gedächtnis haften geblieben.
Im letzten Jahr hatte sein Bauchumfang zugenommen. Na und? Er war schließlich kein junger Spund mehr. Außerdem hasste er eng anliegende Shirts. Sie nahmen ihm die Luft, beengten ihn. Er war zu Hemden und weitgeschnittenen Pullovern übergegangen, die zudem den Vorteil hatten, Speckröllchen zu verbergen.
Überhaupt war Erika schuld, wenn er zunahm. Sie kochte eben zu viel. Eine warnende Stimme in seinem Kopf raunte, dass sie sich gestern zu kochen geweigert hatte.
Während Henne noch am letzten Bissen kaute, setzte er sich in Bewegung. Kienmann hatte ihm empfohlen, mehr zu laufen. Also hatte er das Auto vor der Direktion stehen lassen und war zu Fuß in die City gegangen. Eigentlich hatte er Blumen holen wollen, für Erika, um sie friedlich zu stimmen. Dann war ihm der Bratwurststand dazwischengekommen, und die Blumen waren vergessen. Zurück in der Dienststelle fielen sie ihm wieder ein.
Er war erleichtert, dass ihn Gitta nicht bemerkte, als er die Halle durchquerte. Sie war heute mit einem blauschwarzen Wuschelkopf à la Angela Davis geschmückt. Henne hetzte die Treppe hinauf. Er wollte Gittas Anblick schnellstmöglich vergessen. Der Afrolook ließ Gitta wie ein Zombie aussehen.
Im Büro war es leer. Leonhardt schien noch unterwegs zu sein. Frank war mit der SoKo drei Türen weiter gezogen. Er wolle ungestört arbeiten, so seine Begründung, und dann hatte er irgendeinen dummen Spruch von »Ruhe und Gemütlichkeit« abgedrückt.
Henne schaute sich unschlüssig um. Er dachte an Miriam. Was, wenn sie etwas mit dem Mord an König zu tun hatte? Er wollte nicht derjenige sein, der sie überführte. Allerdings brachte er es nicht übers Herz, Miriam von einem Kollegen verhören zu lassen. Es würde den Anschein machen, er ließe sie im Stich.
Verdammt, warum hatte er sich bloß in diese unmögliche Lage begeben? Am liebsten hätte er alles ungeschehen gemacht. Wenn nur sein dummes Herz nicht so herumhopsen würde.
Eigentlich war er ein Mann schneller Entschlüsse. Nie drückte er sich vor einer Situation, so unangenehm sie auch sein mochte. Eine Miriam Jakob durfte ihn nicht so aus dem Konzept bringen.
Er hinterließ eine Nachricht für Leonhardt und machte sich auf den Weg. Wieder einmal stellte er fest, wie nah beieinander ihre Wohnungen lagen – im selben Viertel, nur durch einige Querstraßen getrennt. Er steuerte den Wagen vor Miriams Haus und stellte den Motor aus. Es drängte ihn, sofort nach oben zu gehen. Trotzdem saß er wie festgenagelt. Verflucht noch eins, seit wann ließ er sich derart aus der Fassung bringen? Er war Oberkommissar, noch dazu ein guter. Nie hatte er sich bei seinen Ermittlungen beeinflussen lassen. Miriam Jakob war nach wie vor verdächtig. Er hatte einen Job zu erledigen, und wenn er sich von Gefühlen dazwischenfunken ließ, war er nicht länger dafür geeignet. Befangenheit, so die beamtendeutsche Bezeichnung für solche Fälle. Falls er nicht klarkam, sollte er den Fall besser abgeben.
Entschlossen löste er den Gurt. Auf einmal stutzte er. Ein Pärchen kam die Straße entlang. Das war doch Alexa König, die Unnahbare, Arm in Arm mit einem gut aussehenden Mann. Henne stieß einen leisen Pfiff aus. Liebe muss toll sein. Mehr fiel Henne dazu nicht ein. Man musste blind sein, um nicht zu erkennen, was die beiden verband.
Er rutschte tiefer in den Sitz. Die schöne Witwe brauchte ihn nicht zu sehen. Später, morgen vielleicht, wollte er sie mit ihrem Geliebten konfrontieren. Mal sehen, ob sie sich dann immer noch so kühl und
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