Leise Kommt Der Tod
Sweeney ging sie sorgfältig der Reihe nach durch. Der zweite Schrank enthielt die größeren Schmuckstücke,
unter denen sich das Kollier eigentlich hätte befinden müssen, zumindest ließ die Kennzahl auf der Akte darauf schließen. Aber obwohl eine Menge filigraner Perlenketten und Unmengen von Amuletten hier lagerten, war das Kollier nicht auffindbar. Tad hatte Recht gehabt.
Als Nächstes überprüfte sie die afrikanischen Schmuckstücke, ebenfalls ohne Erfolg. Sie durchsuchte sämtliche anderen Schränke in der Schmucksektion, und am Ende versuchte sie es bei allen Schmuckkollektionen im übrigen Lager. Obwohl es ihr Freude machte, die Schätze aus Europa, China und dem Iran in den Händen zu halten, war sie am Ende doch frustriert, als sie ihre Suche ohne Erfolg beendete. Wie sollte sie jetzt weiter vorgehen? Sie hatte wirklich keine Ahnung, wo das Kollier abgeblieben sein konnte. Seit wann war es überhaupt im Museum? Sie blätterte in der Akte. Maloof hatte es im Jahr 1979 zusammen mit einigen anderen Schmuckstücken gestiftet. Es gab ein von Willem unterschriebenes Begleitschreiben, in dem er sich darüber ausließ, wie ausgezeichnet es die Sammlung ägyptischer Grabkunst aus der achtzehnten Dynastie abrundete. Außerdem stellte es das ideale Gegenstück zu einem Exponat dar, das sich bereits im Besitz des Museums befand. Sweeney wusste, dass die Kuratoren des Hapner Museums dazu verpflichtet waren, die Anschaffung jedes neuen Kunstwerkes ausführlich zu begründen. Selbst wenn es sich um eine Schenkung handelte, war das Museum auf ewig für seine Aufbewahrung und Pflege verantwortlich. Jedenfalls musste Willems Schreiben Wirkung gezeigt haben. Aber Sweeney fand nirgendwo einen Hinweis, wo das gute Stück abgeblieben sein könnte.
Alles, was sie wusste, war, dass eine gewisse Karen Philips das Kollier irgendwann in Händen hatte. Sie schlug das Datum auf dem Umschlag der Akte nach. November 1979. Vielleicht könnte sie Karen Philips persönlich dazu befragen.
Sweeney zog die Handschuhe aus und ging zu Harriet zurück.
Sie gab ihren Schlüssel ab und trug sich auf dem Formular aus. »Sag mal, Harriet, sagt dir zufällig der Name Karen Philips etwas? Es sieht ganz so aus, als sei sie die Letzte gewesen, die das Kollier gesehen hat, das ich suche. Ich würde sie gerne kontaktieren.«
Harriet nahm das Formular an sich und blickte nervös zu Sweeney hoch. »Sie war Praktikantin hier, vor langer Zeit«, erklärte sie. »Ich weiß nicht mehr, wann genau, aber es war während meiner ersten fünf Jahre im Museum. Mittlerweile bin ich jetzt schon seit dreißig Jahren hier.«
Es war außergewöhnlich, dass Harriet sich an den Namen einer Studentin von vor mehr als fünfundzwanzig Jahren erinnern konnte. »Du weißt aber nicht, wo sie nach ihrem Abschluss hingegangen ist, oder?« Sweeney vermutete, dass sie die nötigen Informationen beim Absolventenbüro bekommen würde. Das war die erste Anlaufstelle, um ehemalige Studenten ausfindig zu machen.
»Nein.« Harriet blickte kurz nach unten auf ihren Schreibtisch, wo ein gerahmtes Foto ihren Mann und die beiden kleinen Söhne am Strand beim Spielen zeigte, und dann sagte sie sehr leise, als ob sie ein beschämendes Geheimnis enthüllen würde: »Sie ist gestorben. Es war schrecklich. Jeder hier am Museum mochte sie.«
Etwas in ihrer Stimme brachte Sweeney dazu nachzubohren. »Was ist passiert?«
Harriet sah sich um, als ob sie sichergehen wollte, dass niemand ihr Gespräch mithörte, dann lehnte sie sich über den Tisch und flüsterte: »Sie hat Selbstmord begangen. Es hieß, sie sei depressiv gewesen und habe sich in ihrem Zimmer im Wohnheim erhängt.«
Harriet wusste nicht viel über den zu frühen Tod von Karen Philips, deshalb entschied Sweeney kurzerhand, in der Bibliothek nach weiteren Informationen zu recherchieren. Die Jahrbücher
befanden sich in einem Bücherregal im ersten Stock, und Sweeney griff sich einen Stapel davon - die Jahrgänge 1979 bis 1985 - für alle Fälle. Dann setzte sie sich damit auf dasselbe Sofa, auf dem sie als Erstsemestrige öfter eingenickt war.
Sie blätterte die Jahrbücher sehr gewissenhaft durch, um nur ja nichts zu übersehen. Im Band des Jahres 1980 stieß sie schließlich auf das Foto einer jungen Frau, das mit den Worten »In Memoriam. Karen Philips. 1960 bis 1980« versehen war.
Das Bild zeigte eine hübsche Studentin, die vor einer Ziegelmauer stand. Ihr braunes, zum Pagenkopf geschnittenes Haar hatte sie nach
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