Leise Kommt Der Tod
Stuhl saß, auf dem zuvor Keane die Befragung über sich hatte ergehen lassen. Sie streckte die Beine aus und machte es sich bequem, während sie Quinn mit neugierig strahlenden Augen ansah. Ihr Gesichtsausdruck erinnerte ihn an ein Kind im Zirkus.
»Steh auf«, sagte er barsch. »Das ist sein Schreibtisch, du hast auf diesem Stuhl nichts verloren. Wir verwenden sein Büro für unsere Befragungen, nicht seinen Arbeitsplatz.«
Sie sprang auf und ließ sich widerwillig auf dem Stuhl nieder, wo sie zuvor gesessen hatte. Beschämt wandte sie den Blick ab.
»Konntest du die Aufzeichnungen der Kameras auftreiben?«, fragte er.
»Ja, ja. Ich habe Johnny damit betraut. Jemand von der Sicherheitsfirma muss erst noch vorbeischauen und den Zugang freischalten, damit wir an die Bänder kommen. Das dauert wahrscheinlich ein bisschen. Wir werden angerufen, wenn es so weit ist.«
»Was hältst du von der Sache, dass der Schrank nicht abgesperrt war?«
Sie war überrascht, dass er ihre Meinung hören wollte. »Ich kann gut nachvollziehen, wie es dazu gekommen ist. Sämtliche anderen Schränke im Museum verschließen sich automatisch. Und Keane hat ja selbst gesagt, dass er normalerweise nie ein
Schloss aufsperrt, um ein Exponat vorzuführen. Nur war der besagte Schrank nicht für einen Kanopenkrug gemacht, und deshalb konnte man das Exponat nicht gut sehen, wenn er verschlossen war. Jedenfalls hat er es so erklärt.«
»Hast du ihm das abgekauft? Ich weiß nicht so recht, ob ich ihm glauben soll.«
Sie überlegte einen Moment. »Ich weiß, was du meinst. Mir kam diese Erklärung auch ein bisschen weit hergeholt vor. Aber weißt du, was sehr glaubhaft klang? Sein Eingeständnis, den Schrank geöffnet zu haben, weil er so fasziniert von dem Exponat war, obwohl er es nicht hätte tun dürfen. Das kam sehr ehrlich rüber.«
Quinn musste sich widerwillig eingestehen, dass Havrilek Recht gehabt hatte, was Ellies Menschenkenntnis betraf. Sie hatte ein feines Gespür dafür, wann jemand log und wann er die Wahrheit sagte.
»Aber woher hat der Dieb gewusst, dass der Schrank nicht abgesperrt war? Ist Keane in die Sache verwickelt? Hat er den Schrank absichtlich offen gelassen?« Das ergab jedoch keinen Sinn. Warum sollte Keane jemandem dabei helfen, eine Antiquität zu stehlen, die er erst vor kurzem erhalten hatte?
»Der Dieb hat nicht notwendigerweise davon gewusst. Bedenke, dass er versucht hat, den Schrank aufzubrechen.«
Sie hatte Recht. »Aber das ist doch... Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Dieb so viel Glück hat? Also bitte. So etwas kommt doch so gut wie nie vor, das weißt du genauso gut wie ich.«
Sie zuckte mit den Schultern, und er beobachtete sie eine Weile. Die Art, wie sie dasaß, trieb ihn fast zum Wahnsinn. Sie hatte die Knie zusammengepresst und die Hände verkrampft auf ihnen platziert. Als hätte sie seine Gedanken erraten, lehnte sie sich auf dem Stuhl zurück und versuchte, einen entspannteren Eindruck zu erwecken.
»Kannst du mir einen Gefallen tun und mal gut zuhören?«
Seine Worte klangen barscher, als er beabsichtigt hatte. »Pass auf, lass in Zukunft einfach mich die Befragungen leiten. Ich habe nämlich eine bestimmte Methode und...«
Ihre Unterlippe fing an zu beben, und sie sah verlegen nach unten.
Heiliger Himmel. »Es tut mir leid. Hör einfach nur zu und lass uns die Sache hinter uns bringen.« Sie nickte, den Blick immer noch auf ihre zarten Hände gerichtet.
Er sah die Liste mit den Namen der Zeugen durch und überflog die hingekritzelten Notizen. Er hatte die Anmerkungen von den Kollegen bekommen, die mit den anwesenden Personen kurze Erstgespräche geführt hatten. Fred Kauffman, der für die Fotografien im Museum zuständig war, hatte ausgesagt, er sei nach unten gegangen, um etwas aus dem Büro zu holen. Danach habe er draußen ein Telefongespräch geführt und sei genau in dem Augenblick zurückgekommen, als man dabei war, die Polizei zu rufen. Quinn fragte sich, ob er womöglich jemanden beim Verlassen des Museums beobachtet hatte.
Als er Kauffman selbst danach fragte, erhielt er prompt eine Antwort, die sein Misstrauen erregte. Kauffman war ein netter, sympathisch wirkender Herr von kleiner, gedrungener Statur. Sein grauer Lockenkopf und sein rundes Gesicht erinnerten Quinn an einen von Megans Teddybären.
»Nein, nein. Ich hab niemanden gesehen... Ich meine, natürlich habe ich viele Leute beim Gehen beobachtet, aber, Sie wissen schon, nur welche, die bei der
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