Leise Kommt Der Tod
haben.«
25
Es war nicht schwer, die Namen der WAWA-Mitglieder herauszufinden, die zur selben Zeit wie Karen Philips in der Vereinigung gewesen waren. Sweeney suchte noch einmal die Bibliothek auf und zog die Jahrbücher zurate. In dem Exemplar aus dem Jahr vor Karens Tod entdeckte sie in der Rubrik für Wahlkurse und außerschulische Aktivitäten ein Gruppenfoto, das eine Versammlung ernst wirkender junger Frauen zeigte. Sie saßen auf einem Sofa, Karen an einem Ende, und zwei der Studentinnen in der vorderen Reihe hielten ein Banner mit der Aufschrift »Wut im Anmarsch, weibliche Aktion« hoch. Unter dem Bild stand in kleiner Schrift: »v.l.n.r. Mary Haster, Angie Bellini, Rose Moreham, Davida Singleton, Felicia Hu, Susan Esterhaus, Karen Philips.« Sweeney notierte sich die Namen der anderen Frauen und machte sich auf den Weg zum Absolventenbüro. Dort stellte sie sich der Sekretärin vor und erklärte, sie würde an einem Projekt arbeiten, das sich mit der Geschichte von Frauen an Hochschulen befasste. Hierfür würde sie Kontakte zu einer Gruppe von Absolventinnen benötigen. Die Sekretärin fand die Kontaktinformationen ohne Mühe in ihrer Datenbank und notierte die Telefonnummern der Frauen auf einem Blatt Papier.
Als Sweeney und Ian am Morgen aufgestanden waren, hatte es nach Regen ausgesehen, der Himmel war grau und zugezogen gewesen, die Luft feucht und von stehender Hitze erfüllt.
Da sich die Regenwolken nicht entleert hatten, war die Luft nach wie vor drückend schwer. Sweeney fühlte sich auf dem Rückweg zu ihrem Wagen, als würde sie durch ein Schwimmbecken waten.
Zu Hause schälte sie sich aus ihren schweißdurchtränkten Kleidern. Sie fand den General zusammengerollt auf den kühlen Fliesen in der Küche und beugte sich zu ihm herunter, um seine Ohren zu kraulen. »Die Hitze ist zu viel für dich, nicht wahr?« Er blinzelte sie kurz an, ehe er die Augen wieder schloss.
Sie nahm sich ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank und sagte sich, dies sei die einzige Möglichkeit, sich etwas abzukühlen. Dann begann sie die Liste mit den WAWA-Frauen durchzutelefonieren.
Es dauerte eine Weile, bis sie eine von ihnen erreichte. Felicia Hu war zu Hause in ihrer Wohnung in Manhattan. Als Sweeney ihr erklärte, was sie machte und dass sie gerne mehr über Karen Philips erfahren würde, zögerte Hu für einen Moment und sagte dann: »Daran habe ich schon seit Jahren nicht mehr gedacht. Mein Gott, es ist wirklich unglaublich, dass diese Sache, die mich damals so tief berührt hat, plötzlich... vergessen ist. Tut mir leid, was wollten Sie über Karen wissen?«
Sweeney erzählte, dass sie an der Universität unterrichtete und im Moment mit dem Thema Frauenorganisationen im Laufe der Universitätsgeschichte beschäftigt war. »Dabei bin ich über Karens Selbstmord gestolpert, und ich dachte, es wäre vielleicht interessant, die Gründe zu untersuchen, die dahinterstanden.«
»Ich habe ehrlich gesagt nicht gewusst, dass es Gründe gab.«
»Waren Sie überrascht?«
»Nein, so würde ich das nicht sagen. Vielleicht sollte ich ergänzen, dass Karen und ich uns nicht besonders nahestanden. Wenn Sie jemanden suchen, der engen Kontakt mit ihr
hatte, sollten Sie sich besser an Susan Esterhaus wenden. Ich kann Ihnen ihre Telefonnummer in der Arbeit geben, wenn Sie möchten. Nun, jedenfalls war ich nicht besonders überrascht. Karen war eine Zeitlang ziemlich depressiv gewesen, ehe sie zur Tat schritt. Wir alle wussten von dem Raub, sämtliche WAWAs, aber niemand konnte sie dazu bringen, darüber zu sprechen. Sie schlief kaum noch und wirkte sehr aggressiv. Kurz vor ihrem Selbstmord hatte sie angefangen, sich richtig für die Gruppe zu engagieren.«
»Heißt das, davor war sie nicht so richtig dabei? Ihr Bild war auf dem Foto im Jahrbuch.«
»Ja, das muss um die Ferienzeit herum aufgenommen worden sein. Ich erinnere mich, dass sie erst in jenem Herbst anfing, die Meetings regelmäßig zu besuchen und bei den Veranstaltungen zu helfen.«
»Wir sprechen vom Herbst und Winter 1979, richtig?«
»Ja, genau. Ich habe meinen Abschluss im folgenden Jahr gemacht, und Karen war in meiner Klasse. Sie war zu einer unserer Protestkundgebungen gekommen, es ging um sexuelle Gewalt gegen Frauen, und dann tauchte sie bei unserem nächsten Meeting auf und sagte, dass sie mitmachen wolle. Sie stand mit Leib und Seele hinter den Ideen der Organisation. Wir waren froh, sie zu haben.«
»Wann kam sie Ihnen zum ersten Mal depressiv
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