Leise weht der Wind der Vergangenheit
wurden und bald den ganzen Raum erfüllten. Die Melodie durchdrang sogar Gregs Ohnmacht, denn plötzlich liefen Tränen aus seinen Augenwinkeln.
Josh jedoch lag da und lächelte...
* * *
Seit mehr als drei Wochen hatte Matthew Wallace Mary nicht mehr gesehen. Dennoch war sie ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Immer wieder tauchte vor seinem geistigen Auge ihr hübsches Gesicht auf, ihre traurigen Augen, die ihn immer wieder forschend gemustert hatten, und manchmal hatte er das Gefühl, als würde ihr langes nussbraunes Haar seine Wange berühren.
Insgeheim musste sich Matthew eingestehen, dass er sich verliebt hatte, in Mary McCarson. Obwohl ihm dieser Gedanke ein wenig Unbehagen verursachte, konnte er ihn nicht mehr abschütteln. Mit jedem Tag wurde die Sehnsucht ein bisschen größer und die Vergangenheit, die ihn erst zu einem Einsiedler hatte werden lassen, ein wenig unwichtiger.
Vergangene Nacht hatte der Mann von Mary geträumt. Liebevoll hatte sie ihn angelächelt und plötzlich hatte ihre Hand seine Wange gestreichelt. Dann jedoch hatte ihr Gesicht sich verändert. Unglücklich, ja verzweifelt hatte sie ihn nur angestarrt und dann ihre Hände vors Gesicht gelegt und geschluchzt. Mit dem sicheren Wissen, dass sie ihn brauchte, war er aufgewacht.
Jetzt kämpften in Matthews Brust zwei Seelen. Sollte er ernüchtert bleiben, der Realität ins Auge schauen, oder einfach seine Gefühle sprechen lassen und Mary besuchen? Nach einem langen inneren Kampf entschied er sich für die zweite Möglichkeit.
Er stand vor dem Spiegel, betrachtete sein Äußeres und stellte überrascht fest, dass er sich eigentlich schon lange nicht mehr angesehen hatte. Auch das hatte Mary bewirkt, dass er sich selbst auf einmal wieder wichtig nahm.
Eine heftige Freude ergriff Besitz von ihm, und nachdem er zum letzten Mal seine dichten dunklen Haare durchgekämmt hatte, machte er sich auf den Weg. Leise pfiff er vor sich hin, eine traurige irische Melodie, die er irgendwann einmal gehört hatte und die ihm nicht mehr aus dem Sinn gegangen war.
Maureen House lag wie verlassen da. Am Vorabend hatte es geregnet, und der Weg bis zur Haustür war etwas aufgeweicht. Matthew jedoch ließ sich davon nicht abhalten. Vorsichtig trat er von einem Stein auf den anderen und stand schließlich an der Tür. Er klopfte und wenig später öffnete Mary.
Überrascht blickte sie ihn an. „Sie, Matthew?" Sie schien erfreut zu sein.
„Sie...?" Matthew machte ein gespielt beleidigtes Gesicht. „Ich wusste gar nicht, dass wir uns noch immer nicht duzen. Sollte ich versäumt haben, Ihnen bei unserer letzten Begegnung meinen Vornamen zu verraten?" Schelmisch lächelte er und reichte der jungen Frau die Hand. „Störe ich?“
Mary schüttelte lächelnd den Kopf. „Kommen Sie... oder komm herein, Matthew. Ich wollte gerade frischen Kaffee aufbrühen. Trinkst du heute mit?“
„Das letzte Mal hast du mir Tee angeboten.“
„Habe ich bereits fertig", sagte sie und lachte leise. „Setz dich doch." Sie deutete auf einen der Holzstühle und ging zum Herd, um die Kanne vom Feuer zu nehmen. „Also Tee." Sie stellte die Kanne auf den Tisch und brachte gleich darauf zwei Tassen.
„Ist Anne nicht da?“
„Anne und Josh sind wieder einmal zusammen unterwegs. Die beiden Kinder sind unzertrennlich. Mag der Himmel wissen, was sie wieder aushecken." Ihr Lächeln erlosch.
„Was ist, Mary? Hab ich etwas Falsches gesagt?“
Sie schüttelte den Kopf. „Immer wenn ich an Anne denke werde ich traurig", gestand sie leise und füllte die beiden Tassen erneut. „Mit Argusaugen beobachte ich meine kleine Schwester und stelle fest, dass sie jeden Tag ein bisschen weniger wird. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, und doch habe ich das Gefühl, die Zeit zerrinnt mir zwischen den Fingern, wenn ich nicht höllisch aufpasse. Am liebsten würde ich Anne gar nicht mehr vor die Türe lassen, aus lauter Angst, auch nur eine Sekunde mit ihr zu versäumen.“
„Das darfst du nicht tun, Mary", versuchte der Schriftsteller zu trösten. „Eines Tages wird Anne erwachsen sein, und dann...“
„Das ist es ja." Nur mit Mühe konnte Mary ihre Erregung unterdrücken. „Anne wird niemals erwachsen sein. Sie wird nie erfahren, wie es ist, zu lieben und geliebt zu werden. Ihr Leben wird verlöschen wie eine kleine helle
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