Leise weht der Wind der Vergangenheit
erkennen, der sich jedoch fast sofort wieder mit den Konturen des Mädchens vermischte.
Mary wich zurück. Die ganze Szene war so unwirklich, dass sie davon überzeugt war, im nächsten Moment aufzuwachen und in ihrem Bett zu liegen. Dankbar spürte sie Matthews Arm, der sich schützend um ihre Schultern legte.
„Joshua! Verzeih mir, Joshua!" Gregs Schrei gellte laut und schrill durch die Nacht. Der Mann sprang auf und warf die Flöte in hohem Bogen von sich. Stolpernd folgte er den beiden Kindern, die sich langsam auf den Abgrund zu bewegten. „Lass mich erklären, Josh...“
„Komm, Mary, wir müssen die beiden davor bewahren, abzustürzen." Auch Matthew rannte los, Mary hinter sich herziehend. „Es darf einfach nicht sein.“
Dann standen alle drei, Mary, Matthew und Greg am Abgrund und starrten nach unten. Sie waren zu spät gekommen. Wie von Geisterhand waren die Kinder davongetragen worden. Der Mond erleuchtete den schmalen Sandstrand und die beiden Gestalten, die am Ufer standen und aufs Meer hinausblickten.
Mary entdeckte als erste das kleine Boot, das auf den Wellen schaukelte. Eine weiße Lichtgestalt stand darin und rührte sich nicht. Erst als sie ganz nahe am Ufer war, erklang die Stimme der Frau: „Annabel... Belinda... meine Kinder...!“, rief sie und breitete weit ihre Arme aus.
Die beiden Kinder setzten sich in Bewegung und gingen langsam durch das seichte Wasser auf das Boot zu. Bald erreichte es ihre kurzen Ballettröckchen, doch das schien sie nicht zu stören. Unbeirrt setzten sie ihren Weg fort und waren mit einem Mal, ohne dass einer der drei sie hätte einsteigen sehen, im Boot.
Noch immer erhellte der Mond die gespenstische Szene. Das Boot drehte bei und fuhr ganz langsam wieder aufs offene Meer hinaus. Bald war es nur noch als kleines leuchtendes Etwas zu sehen, bis es schließlich von der Dunkelheit verschluckt wurde.
Wie gebannt starrte Mary in die Ferne. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, ja, sie konnte nicht einmal mehr weinen. Ein ungeheures Glücksgefühl war in ihr, das sie ganz erfüllte. Ergriffen lauschte sie dem Wind, der eine leise Melodie vor sich hertrug.
In diesem Moment zerriss ein entsetzlicher Schrei die Luft. Ein schwerer Körper fiel in die Tiefe, es gab ein hässliches Geräusch, als er unten aufschlug.
Greg Simpson hatte sich selbst gerichtet.
Als wenig später Dr. McKoy und noch zwei Männer aus dem Ort zusammen mit Matthew und Mary neben dem Verunglückten standen erkannten sie sofort, dass keine Hilfe mehr möglich war. Greg lag da mit halb geöffnetem Mund, aus dem unaufhörlich Blut sickerte. Seine weit aufgerissenen Augen blickten nach oben, als würden sie etwas Entsetzliches sehen.
Später fand man in der Höhle die Leichen von Josh und Anne, die anscheinend zur gleichen Zeit gestorben waren. Sie hielten sich noch im Tod umfangen. Dr. McKoy versicherte, dass sie keine Schmerzen gehabt hatten und auch nicht erstickt waren. Die genaue Todesursache konnte nicht ermittelt werden, jedoch bestätigte der Arzt, dass sie beide an ihrer Krankheit, Lungenfibrose, gestorben waren.
Anne und Josh bekamen ein gemeinsames Grab auf dem Friedhof von Ronaldsburgh, nicht weit von dem alten Turm entfernt, der einmal zu einem Kloster gehört hatte. Britta, Annes Püppchen, wurde ihnen mit in den Sarg gegeben.
Auch Greg wurde hier bestattet, doch, auf Marys Wunsch hin, weit entfernt vom Grab der Kinder. Später wunderten sich die Leute, weshalb auf Greg Simpsons Grab keine Blumen blühen wollten. Sie verkümmerten, kaum, dass man sie eingepflanzt hatte. Schließlich entschied man sich für eine steinerne Platte, die nicht mehr gepflegt zu werden brauchte.
Auf dem Grab der Kinder jedoch grünte und blühte es vom zeitigen Frühjahr bis weit in den Herbst hinein. Matthew und Anne pflegten es mit hingebungsvoller Liebe. Sie heirateten ein halbes Jahr nach dem Tod der Kinder, und als sie ein Jahr später ein Zwillingspärchen bekamen nannten sie die Kinder Annabel und Joshua. Jahre später sollte Annabels Puppe den Namen Britta erhalten. Sie hatte lange schwarze Haare und wunderschöne ausdrucksvolle Augen.
Joshua bekam ein wolliges schwarzes Hündchen geschenkt zu seinem fünften Geburtstag. Er hatte es sich so innig gewünscht, dass ihm die Eltern den Wunsch nicht abschlagen konnten. Und auf die Frage seines Vaters, wie das niedliche Hundemädchen denn heißen sollte strahle
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