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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Falls dem so ist, liegt der erste Kontakt zu Rusk mindestens drei Jahre zurück, möglicherweise sogar bis zu sieben Jahre. Vielleicht hat sie Shane Lansing überhaupt erst durch Andrew Rusk kennen gelernt.«
    »Aber Red Simmons ist nicht an Krebs gestorben.«
    »Genauso wenig wie meine Schwester.«
    Chris’ Gedanken überschlugen sich, doch unterhalb der rationalen Ebene in seinem Bewusstsein geschah noch etwas anderes. Angst und Wut verschmolzen miteinander zu einer dunklen Verzweiflung, deren einziges Ventil darin bestehen konnte, aktiv zu werden. »Um wie viel Uhr sagten Sie, ist Ihr Freund in Jackson?«
    »So bald wie möglich«, antwortete Alex unüberhörbar erleichtert. »Wenn Sie innerhalb der nächsten Stunde aufbrechen, kommen Sie wahrscheinlich um die gleiche Zeit an wie Kaiser.«
    »Gut.«
    »Heißt das, Sie kommen?«
    »Oh ja.«
    »Danke, Chris.«
    »Danken Sie mir nicht. Von jetzt an geht es um mein Überleben.«
    Alex wollte etwas sagen, doch er unterbrach die Verbindung und schob das Telefon in seine Schublade. Dann beendete er sein E-Mail-Programm, erhob sich und begab sich in Tom Cages Teil der Gemeinschaftspraxis.
    Toms Assistentin, Melba Price, stand vor der Tür von Behandlungszimmer Nummer sieben. Melba hatte ein Talent für das Lesen nonverbaler Kommunikation, sowohl bei Patienten als auch bei Kollegen und Ärzten. Dieses Talent hatte sie vor mehr als zwanzig Jahren zu Tom Cages rechter Hand gemacht.
    »Ich muss ihn sprechen, Melba«, sagte Chris. »So schnell wie möglich.«
    »Er ist gleich fertig.« Sie musterte Chris von der Seite. »Ich habe von Ihrer Auseinandersetzung mit Dr. Lansing gehört.«
    Chris schnitt eine Grimasse. »Es geht mich ja nichts an«, fuhr Melba fort, »aber eine Menge Leute wollten seit langer Zeit genau das tun, was Sie gemacht haben.«
    Tom Cages gut gelaunter Bariton drang durch die massive Holztür. Chris hörte einen Stuhl knarren, einen dröhnenden Abschiedsgruß, und dann trat Tom auf den Flur. Als er Chris sah, blickte er überrascht drein. »Hey, Schläger!«, begrüßte er ihn. »Was gibt’s?«
    »Ich muss mit Ihnen reden.«
    »Gehen wir in mein Büro.«
    Chris schüttelte den Kopf. »Haben Sie ein Untersuchungszimmer frei?«
    Tom sah Melba fragend an.
    »Nummer fünf«, sagte sie.
    Chris ging voran. Nachdem Tom die Tür geschlossen hatte, blickte er seinen jüngeren Partner mit väterlicher Sorge an. »Was hat das zu bedeuten, Chris? Ich wollte Sie nicht auf den Arm nehmen wegen Lansing. Er ist so ein durch und durch dämliches Arschloch.«
    Chris sah seinem Mentor in die Augen, und vielleicht zum ersten Mal wurde ihm bewusst, um wie viel älter Tom Cage tatsächlich war. Tom hatte 1958 angefangen, als Arzt zu praktizieren. Er war in einer Zeit aufgewachsen, als es noch keine Antibiotika gegeben hatte, und doch hatte er bis in die Zeit der Positronenemissionstomographie und der Gentherapie überdauert.
    »Sie müssen mir einen Gefallen tun, Tom. Ohne Fragen zu stellen.«
    Der alte Mann nickte ernst. »Schießen Sie los.«
    »Ich möchte, dass Sie mich untersuchen. Meinen ganzen Körper, von oben bis unten.«
    »Wonach soll ich suchen? Haben Sie irgendwelche Symptome?«
    Tom dachte, was Chris in seiner Lage gedacht hätte. Die meisten Ärzte vermuten irgendwann im Lauf ihres Lebens, dass sie sich mit irgendeiner tödlichen Krankheit infiziert haben. Sie wissen zu viel, sehen zu viel, und selbst das kleinste Symptom kann Ängste vor einer tödlichen Erkrankung wecken.
    »Ich habe schlimme Kopfschmerzen«, sagte Chris. »Aber das ist nicht das eigentliche Problem. Ich habe Grund zu der Annahme … nun, ich möchte, dass Sie jeden Quadratzentimeter meiner Körperoberfläche mit einer Lampe absuchen. Und einer Lupe, falls erforderlich.«
    »Wonach halte ich Ausschau?«
    »Nach etwas Ungewöhnlichem. Einer Injektionsstelle. Einem Hämatom, einer Schramme, einer Läsion, irgendetwas. Ich möchte, dass Sie in meinem Mund anfangen.«
    Tom starrte ihn lange wortlos an. Chris konnte beinahe sehen, wie sich die Fragen in seinem Verstand auftürmten. Doch am Ende meinte er nur: »Sie ziehen sich besser aus und kommen auf den Untersuchungstisch.«
    Während Chris sich seiner Kleidung entledigte, setzte Tom einen ledernen Stirnriemen mit einer daran montierten Lampe auf. Chris stieg auf den Tisch und legte sich auf den Rücken.
    »Meine Augen sind nicht mehr das, was sie mal waren«, sagte Tom. »Aber ich habe gestern ein Melanom entdeckt, so winzig, dass Sie es nicht

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