Leises Gift
es nicht?«
»Weil es ernste Risiken dabei gibt. Viele Chemotherapeutika sind selbst karzinogen. Ich bin nicht sicher, ob ich verzweifelt genug bin, um eine Chemotherapie zu machen. Connolly hingegen meint, dass ich die größten Überlebenschancen habe, wenn er mich so schnell wie möglich damit vollpumpt.«
Alex versuchte die Logik zu begreifen. »Wie kann Chemotherapie helfen, wenn Sie noch gar keinen Krebs haben?«
Chris erhob sich langsam, hielt sich an ihr fest, um das Gleichgewicht zu halten, und sah ihr in die Augen. »Es ist möglich, dass ich bereits Krebs habe.«
Alex erblasste. »Wie?«
»Erinnern Sie sich an Peters schaurigstes Szenario, von dem ich Ihnen erzählt habe? Bei dem jemand Zellen einer bestimmten Person in seinen Besitz bringt, sie im Labor mit Krebs infiziert und sie der Person dann wieder injiziert?«
Alex nickte zögernd.
»Das wären vom ersten Moment an aktive Krebszellen. Gleich nachdem sie wieder im Körper wären.«
Alex dachte an die Einstichstelle neben Chris’ After. »Was glauben Sie, ist gestern Nacht passiert? Hat jemand Ihre Zellen gestohlen, um sie zu verändern? Oder hat er Ihnen bereits veränderte Zellen injiziert?«
In Chris’ Augen stand Bitterkeit. »Ich bete, dass es Ersteres war. Ich fürchte allerdings, dass ich kein Glück habe.«
»Warum?«
»Weil es viel einfachere Methoden gibt, an meine Zellen zu gelangen.«
Alex schüttelte verwirrt den Kopf. »Zum Beispiel?«
»Überlegen Sie selbst. Wer hat ständigen Zugang zu meinem Körper?«
»Thora?«
»Richtig. Und sie ist ausgebildete Krankenpflegerin.«
»Schön und gut. Aber wie kann Thora Ihnen Blut abgenommen haben, ohne dass Sie es bemerkt hätten?«
Chris winkte ab. »Denken Sie nach. Kein Blut.«
Sie versuchte sich vorzustellen, welche anderen Zellen infrage kamen. Haare? Haut? Oder … Sie verzog den Mund vor Abscheu und Entsetzen.
»Haben Sie die Lösung?«, fragte er.
»Sperma?«
»Genau. Ist das nicht eiskalt und berechnend?«
Alex schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass Thora zu so etwas imstande wäre.«
»Und warum nicht? Wenn man einmal den Entschluss gefasst hat, einen Mord zu begehen, welche Rolle spielt da noch die Methode? Glauben Sie vielleicht, irgendeines der anderen Opfer hatte einen angenehmen Tod?«
Sie starrte ihn an und wusste nicht, was sie sagen oder tun sollte. Die Situation überstieg ihr Begriffsvermögen.
»Vor ein paar Nächten …«, berichtete Chris flüsternd, »… am Abend des Tages, als Sie zum ersten Mal bei mir waren, kam Thora nach draußen in mein Studio. Wir haben miteinander geschlafen. Sie hat mir weisgemacht, dass sie immer noch versucht, schwanger zu werden. Es war ganz untypisch, wenn man bedenkt, wie die Dinge vorher zwischen uns gestanden hatten, aber ich habe mitgemacht, weil ich das Beste hoffte.« Chris verzog zornig das Gesicht. »Drei Tage später fand ich heraus, dass sie eine Abtreibungspille genommen hatte.«
Alex fröstelte.
»Thora wollte überhaupt nicht schwanger werden. Also warum der Sex?«
Alex schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass jemand so schnell Krebs in die Zellen einschleusen kann. Nicht einmal in einem richtigen Labor.«
»Ich hoffe, Sie haben recht. Das ist einer der Gründe, warum ich bis jetzt noch nicht mit der Chemo angefangen habe. Aber wer weiß schon, was alles möglich ist?«
Alex legte beide Arme um ihn und drückte ihn fest an sich.
Zuerst versteifte er sich, doch dann spürte sie, wie er nachgab. Als er die Arme um sie legte, merkte sie, wie er zitterte. Lag es an den Medikamenten? Oder stand er dicht davor, mitten in der Lobby zusammenzubrechen? Es wäre nur zu verständlich, wenn man bedachte, unter welch unvorstellbarem Druck er stand.
»Kommen Sie, gehen wir nach oben«, sagte sie. »Haben Sie eingecheckt?«
Er nickte.
Sie ließ an der Rezeption eine Nachricht für Will zurück, und sechzig Sekunden später schlossen sie die Tür zu Zimmer Nummer 638 auf. Alex hatte eine Suite auf der »Executive«-Etage gemietet. An das Schlafzimmer schloss sich ein kleiner Wohnraum an mit einem Sofa, zwei Clubsesseln und einem Schreibtisch an einer Wand. In einer Ecke befanden sich eine Spüle, ein Mini-Kühlschrank und ein Mikrowellenherd.
»Ist das eine Minibar?«, fragte Chris.
Alex überprüfte den Kühlschrank. »Kein Alkohol.«
Er fluchte leise.
»Was möchten Sie?«
»Ist mir egal.«
Sie sah im Schlafzimmer nach. »Da haben wir sie. Unter dem
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