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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Lebensversicherung sein würde, darüber machte er sich nicht die geringsten Illusionen. Sein Partner tolerierte keinerlei Risiko – das hatte er von Anfang an deutlich gemacht. Der Mann war so besessen, was Sicherheit betraf, dass er sich nicht nur einen Kodenamen zugelegt hatte – Glykon –, den Andrew bei ihren (seltenen) Unterhaltungen benutzen musste, sondern er verlangte, dass Andrew von ihm als Glykon dachte. »Sicherheit basiert auf rigorosen Angewohnheiten«, hatte Glykon beharrt, und wie der Zufall es wollte und wie sich herausstellte, hatte er damit recht gehabt. Sie hatten fünf Jahre lang stetige und atemberaubende Profite eingefahren, ohne dass es ein einziges Problem gegeben hätte. Doch Rusk wusste, sobald Glykon ein Risiko wahrnahm, würde er augenblicklich alles daransetzen, es zu eliminieren. Was bei diesem Geschäft nur eines bedeuten konnte: Tod.
    Der Leim, der ihre Partnerschaft bisher zusammengehalten hatte, war eine Strategie aus den Zeiten des Kalten Krieges: das atomare Patt oder Gleichgewicht des Schreckens. Nur wenn jede Partei wusste, dass die andere imstande war, selbst nach einem Erstschlag noch vernichtend zurückzuschlagen, konnte ein stabiler, wenngleich spannungsgeladener Frieden herrschen. (Rusk hatte es einmal verglichen mit zwei Ehebrechern, die beide verheiratet waren.)
    Doch die Situation hatte sich seither geändert, und Rusk fühlte sich mit einem Mal nicht mehr sicher. Zum ersten Mal im Verlauf der Partnerschaft hatte ihn ein Gefühl von echter Gefahr beschlichen. Es gab gleich zwei Bedrohungen, und beide waren nahezu gleichzeitig entstanden. Eine war intern, die andere kam von außen. Im Schatten dieser Bedrohungen war Rusk zu dem Schluss gelangt, dass jede Partei von dem Damoklesschwert wissen musste, das über ihrem Kopf schwebte, damit die gegenseitige Abschreckung funktionieren konnte. Stillschweigendes Einvernehmen reichte nicht mehr aus.
    EX NIHILO würde dieses Damoklesschwert liefern.
    Falls Rusk sich nicht jeden Tag auf der holländischen Webseite einloggte und seine Identität authentifizierte, würde EX NIHILO den Inhalt einer großen digitalen Datei an das FBI und die Mississippi State Police überstellen. Die Datei enthielt detaillierte Aufzeichnungen der partnerschaftlichen Aktivitäten der vergangenen fünf Jahre, zusammen mit Fotos und Geschäftsaufzeichnungen – genügend juristisches Dynamit, um beide Männer lebenslänglich nach Parchman zu schießen, wo die Schlimmsten der Unberührbaren ihre elenden und gewalttätigen Tage verlebten.
    Natürlich gab es eine eingebaute Sicherheitsfrist. Ohne sie hätte ein zufälliges Ereignis wie beispielsweise ein Autounfall mit einem anschließenden kurzen Koma dazu geführt, dass Andrew wieder aufwachte, nur um wegen Mordes verhaftet zu werden. Doch die Frist war nicht viel länger als eine Woche. Zehn Tage genau. Nach Ablauf dieser Frist würde Glykon verhaftet, vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt werden.
    Es war die Aussicht, Glykon über diese Sicherheitsmaßnahme zu informieren, die Rusks Schließmuskel zittern ließ. In dem Augenblick, in dem er dieses »Schwert« aus der Scheide zog, würde der Boden unter seinen Füßen ins Wanken geraten. Er und Glykon würden zu Gegenspielern werden, selbst wenn sie ihre Zusammenarbeit fortsetzten, was keinesfalls sicher schien. Intellektueller Genius und skrupellose Effizienz hatten Glykon zum perfekten Kollaborateur gemacht, doch die gleichen Qualitäten würden ihn auch zum furchtbarsten Gegner machen, den man sich nur vorstellen konnte.
    Rusk verabscheute sich für seine Angst. Die Wände seines Büros waren gesäumt mit Fotos, die seine Männlichkeit demonstrierten: brillante Schnappschüsse eines blonden ehemaligen Verbindungspräsidenten in jeder nur vorstellbaren Art von Überlebensausrüstung. Rusk besaß die besten Spielsachen, und er hatte hart daran gearbeitet, sie alle zu beherrschen. Extrem-Skifahren. Monsterwellenreiten auf Hawaii. Er besaß ein Stuntflugzeug, das er lenkte wie ein Kunstflugpilot. Er hatte im vergangenen Jahr in einem höllischen Sturm den Mount Everest bestiegen (wenngleich mit Sauerstoffmaske). All das hatte er erreicht, ehe er vierzig geworden war, und doch fühlte er sich in Gegenwart Glykons wie ein grüner Junge. Es war nicht der Altersunterschied – Rusk fühlte sich den meisten Sechzigjährigen überlegen, denen er begegnete. Nein, es war etwas anderes. Eine Reihe von Faktoren genaugenommen, von denen er die wenigsten mit

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