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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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krankschreiben lassen, um sich zu erholen.«
    Alex stieß ein gepresstes Lachen aus. »Ich bin krankgeschrieben.«
    Er starrte sie an, und plötzlich wurde ihm alles klar. Ihre tiefe Erschöpfung, ihre Besessenheit, der abwesende Blick eines traumatisierten Soldaten … »Sie arbeiten auf eigene Faust, habe ich recht?«
    Sie schüttelte erneut den Kopf, doch ihr Unterkiefer bebte.
    »Sie sagen sehr viel häufiger Ich, als dass Sie Wir sagen.«
    Alex biss sich auf die Unterlippe; dann blinzelte sie ihn an wie durch helles Sonnenlicht.
    »Ist es so, wie ich vermute?«, fragte er leise. »Arbeiten Sie allein?«
    Als sie ihn diesmal wieder ansah, waren ihre Augen nass, doch nicht allein vom Regen. »Mehr oder weniger«, gestand sie leise. »Die Wahrheit ist … fast alles, was ich in den letzten fünf Wochen unternommen habe, geschah ohne Vollmacht von Seiten des FBI. Wenn meine Vorgesetzten wüssten, was ich tue, würden sie mich feuern.«
    Chris stieß einen leisen, langgezogenen Pfiff aus.
    Sie nahm seine Handgelenke und sagte mit grimmiger Entschlossenheit: »Sie sind meine letzte Hoffnung, Dr. Shepard. Meine allerletzte Hoffnung.«
    »Ihre letzte Hoffnung worauf?«
    »Diese Leute aufzuhalten. Zu beweisen, was sie getan haben.«
    »Hören Sie«, sagte er verlegen. »Wenn das alles stimmt, was Sie mir erzählt haben … warum wurde nicht längst das FBI eingeschaltet?«
    »Aus einem Dutzend verschiedener Gründe, auch wenn kein einziger davon stichhaltig ist. Mord fällt in die Zuständigkeit der Bundesstaaten, nicht des FBI, es sei denn, es handelt sich um organisiertes Verbrechen. Vieles von dem, was ich habe, beruht auf Vermutungen, nicht auf objektiven Beweisen. Doch wie soll ich ohne jegliche Ressourcen an Beweise herankommen? Das FBI ist die bornierteste Bürokratie, die man sich vorstellen kann. Alles läuft genau nach Vorschrift – es sei denn, es geht um Terrorismusbekämpfung. In diesem Fall werfen sie sämtliche Vorschriften über Bord. Die Kerle, hinter denen ich her bin, lassen sich ganz bestimmt nicht festnageln, wenn es nach den Vorschriften geht.«
    Chris wusste nicht, was er sagen sollte. Noch gestern Morgen war sein Leben in den gewohnten Bahnen verlaufen. Jetzt stand er im Regen auf einer Brücke und sah zu, wie vor seinen Augen eine Frau zusammenbrach, die er kaum kannte.
    »Wenn Sie auf eigene Faust operieren, wer hat dann gesehen, wie Thora die Kanzlei dieses Anwalts betreten hat?«
    »Ein Privatdetektiv. Er hat früher für meinen Vater gearbeitet.«
    »Meine Güte. Was denkt man denn beim FBI, was Sie im Augenblick tun?«
    »Dass ich in Charlotte bin und an einem Fall von Prostitution arbeite, in den illegale Einwanderer verwickelt sind. Als ich nach meiner Verwundung dorthin versetzt wurde, hatte ich Glück. Ich traf einen alten Klassenkameraden von der FBI-Akademie wieder. Er hat mich bis jetzt gedeckt. Aber das geht nicht mehr lange gut.«
    »Du liebe Güte.«
    »Nicht alles, was ich sage, klingt vernünftig und logisch, ich weiß. Ich habe seit fünf Wochen nicht mehr länger als drei Stunden am Tag geschlafen. Ich habe allein zwei Wochen gebraucht, um die Verbindung zwischen meinem Schwager und diesem Scheidungsanwalt zu finden. Eine weitere Woche, um die Namen aller anderen Geschäftspartner herauszufinden. Ich habe meine Liste von Opfern erst vor einer Woche angefangen. Es könnte noch ein Dutzend weitere Opfer geben, von denen ich bis jetzt nichts weiß. Aber dann spazierte Ihre Frau in das Büro von Rusk, und das brachte mich nach Natchez. Ich habe meine Zeit zwischen hier und Jackson aufgeteilt, wo meine Mutter im Sterben liegt …«
    »Wer ist Rusk?«, unterbrach Chris sie. »Der Scheidungsanwalt?«
    »Ja. Andrew Rusk Junior. Sein Vater ist ein bedeutender Zivilrechtsanwalt in Jackson.« Noch mehr Tränen strömten über ihre Wangen. »Verdammt, was für eine Scheiße! Ich brauche Ihre Hilfe, Doktor Shepard. Ich brauche Ihr medizinisches Wissen, aber am meisten brauche ich Sie, weil Sie das nächste Opfer sind.« Alex starrte ihm eindringlich in die Augen. »Verstehen Sie, was ich sage?«
    Chris schloss die Augen. »Nichts von dem, was Sie mir bis jetzt erzählt haben, beweist das.«
    Zorn packte sie. »Hören Sie mich an! Ich weiß, dass es Ihnen nicht gefällt, aber Ihre Frau hat eine zweistündige Autofahrt auf sich genommen, um sich mit Andrew Rusk zu treffen, und sie hat Ihnen kein Wort davon erzählt! Was glauben Sie denn, was das zu bedeuten hat?«
    »Jedenfalls nicht Mord«,

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