Leises Gift
Schultern. »Er ist Südstaaten-Baptist.«
Tarver blickte ihn für einen Moment verblüfft an. Dann lachte er. »Sie meinen, Samstagabend ist nicht das Gleiche wie Sonntag?«
»Es liegen Welten dazwischen, mein Freund. Welten.«
Tarver schaufelte die restliche Lende aus der brutzelnden Kasserolle und legte sie auf einen der Steine, die einen Kreis um das Feuer bildeten. »Ich kenne diese Sorte.«
»Was sollen wir Ihrer Meinung nach unternehmen?«
Der Pathologe grinste. »Wir? Könnten Sie denn etwas tun, um uns aus dieser Situation zu befreien?«
Rusk wäre beinahe errötet. »Nun, ich meinte …«
»Sie meinten, was ich zu unternehmen gedenke, um Ihren Arsch zu retten.«
Das kostet mich eine Stange Geld, wurde Rusk schlagartig bewusst. Ein Vermögen.
Dr. Eldon Tarver erhob sich vom Feuer und streckte sich. Rusk hörte seine Gelenke knacken. Tarver sah aus wie jener graubärtige Typ im Nachtprogramm, der um Spenden für hungernde Kinder bat. Bis auf das Muttermal. Dieses Ding war wirklich beängstigend. Lass es dir operativ entfernen, verdammt, dachte Rusk. Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, und du bist selbst Arzt! Andererseits, wenn er es genau bedachte, kannte er eine ganze Reihe Ärzte mit schlechten Zähnen.
»Ich kümmere mich um unseren Mr. William Braid«, sagte Tarver beinahe geistesabwesend.
Rusk nickte vorsichtig. Er wollte wissen, wann Tarver zu handeln beabsichtigte, doch er wollte ihn nicht verärgern, indem er fragte.
»Ist Braid heute Abend zu Hause?«, fragte Tarver.
»Ja. Ich habe ihm gesagt, dass ich vielleicht vorbeikomme, damit wir reden können.«
»Trottel! Was, wenn er es seiner Geliebten verraten hat?«
»Sie hat ihn vor zehn Tagen verlassen. Im Augenblick hat er niemanden zum Reden. Seine Kinder sind die letzten beiden Wochen bei den Großeltern gewesen.«
»In Ordnung.«
Rusk atmete erleichtert durch. Kein Wort von Geld bis jetzt.
»Zweihundertfünfzigtausend«, sagte Tarver unvermittelt, als hätte er Rusks Gedanken gelesen.
Rusk krümmte sich innerlich. »Das ist eine Menge Geld«, warf er zaghaft ein. »Ich meine, er ist schließlich eine Bedrohung für uns beide, oder?«
Sämtliche Menschlichkeit verschwand aus Tarvers Gesicht. »Kennt Braid meinen Namen?«
»Nein.«
»Kennt er mein Gesicht?«
»Selbstverständlich nicht.«
»Dann ist Braid keine Bedrohung für mich. Sie sind die einzige vorstellbare Bedrohung, die es für mich gibt, Andrew. Und ich empfehle Ihnen dringend, mich nicht zu zwingen, eingehender darüber nachzudenken.«
»Wie möchten Sie das Geld?«
»Auf die sichere Art und Weise. Der Transfer findet hier statt. Irgendwann nächste Woche.«
Rusk nickte. Eine Viertelmillion Dollar … einfach so. Alles nur, um einen von Schuld geplagten Mandanten zum Schweigen zu bringen. Er musste die Kundschaft in Zukunft besser auswählen. Doch wie sollte er das anstellen? Es war schwer vorherzusagen, ob jemand den Mumm hatte zuzusehen, wie ein Mensch, den er einmal geliebt hatte, zu einer leeren Hülle wurde, ehe er schließlich starb. Einen Menschen zu erschießen war sehr viel schneller und einfacher. Den Abzug drücken – und die Quelle des Übels lag beim Leichenbeschauer. Drei Tage später wurde sie aufgehübscht für ihren letzten öffentlichen Auftritt im Sarg, und dann weg damit für immer. So war es in den alten Tagen gewesen, in den Tagen des verdammten Perry Mason beispielsweise. Doch sie lebten in der Moderne. Heutzutage hatte man keine Chance mehr, jemanden zu erschießen, den man kannte, und ungeschoren davonzukommen. Genauso wenig, wie man jemanden erwürgen, vergiften oder von einem Hotelbalkon stoßen konnte. So gut wie jede Methode, jemand anderen umzubringen, war nachvollziehbar und vor Gericht beweisbar. Ehegatten und Familienmitglieder waren bei jedem Mordfall automatisch die Hauptverdächtigen. Es war gewissermaßen ein Axiom. Das Erste, was ein Detective bei der Mordkommission lernte.
Nein, wenn man im einundzwanzigsten Jahrhundert jemanden umbringen und ungeschoren davonkommen wollte, musste man so genial zu Werke gehen, dass die Tat gar nicht erst als Mord wahrgenommen wurde.
Genau das war die Dienstleistung, die zu liefern Andrew Rusk einen Weg gefunden hatte. Wie jedes qualitativ hochwertige Produkt war sie nicht billig. Noch gab es sie schnell. Und am vielleicht wichtigsten von allem, wie William Braid gerade eindringlich bewies: Sie war nichts für Leute mit schwachen Nerven. Die Nachfrage war hoch, wie nicht anders zu
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