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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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imstande, die Hälfte der eigenen Bevölkerung zu opfern, um die Amerikaner vom Angesicht der Erde zu tilgen. Wie Mao einst gesagt hatte: Wenn ein atomarer Krieg eine halbe Milliarde Menschen unseres Volkes tötet, haben wir immer noch eine halbe Milliarde übrig. Und dann hatte er gelacht.
    Doch Mao hatte keinen Scherz gemacht. Der Krieg mit China war unausweichlich, und Eldon Tarver wusste es. Doch im Gegensatz zu den politischen Straußen, die das Land derzeit mit den Köpfen im Sand regierten, gab Tarver sich nicht damit zufrieden, tatenlos abzuwarten. Eldons Adoptivvater hatte im Zweiten Weltkrieg im Pazifik gegen die Japaner gekämpft, und auf seinem Weg über vier blutgetränkte Inseln hatte er ein wenig über die fernöstliche Denkweise gelernt. Eldons Vater mochte ein verbitterter alter Bastard gewesen sein, der seine Kinder mit eisenharter Faust erzogen hatte, doch er hatte seinen Kindern auch die Lektionen aus diesem Krieg eingetrichtert – sogar dem einen Kind, das er allein deshalb adoptiert hatte, weil er eine billige zusätzliche Arbeitskraft auf seiner Farm brauchte.
    Aus diesem Grund hatte Eldon Tarver – im Gegensatz zu den Dilettanten, die sich bei einschlägigen Cocktailpartys in schlagfertigen anti-chinesischen Parolen übten – einen richtigen Plan. Er hatte den Feind jahrzehntelang studiert und sich auf eine unsymmetrische Kriegführung vorbereitet, wie das Pentagon es nannte.
    Doch Tarver hatte einen viel einfacheren Ausdruck dafür: EinMann-Krieg.
    Im Schlafzimmer von Braids Haus ging das Licht an, und Niedervolt-Halogenlampen erhellten den makellosen Rasen vor dem Haus. Tarver wusste Bescheid über die Art der Beleuchtung, denn er hatte zwei Jahre zuvor einige Zeit in diesem Schlafzimmer verbracht.
    Er nahm seinen Rucksack und ging rasch um das Haus herum zum Tor, das in den Garten dahinter führte. Braid hatte die Alarmanlage wahrscheinlich noch nicht wieder eingeschaltet. Wie die meisten Leute war er ein Gewohnheitstier, und wie die meisten Leute – zumindest im relativ sicheren Mississippi – fühlte er sich in keiner Weise bedroht, solange die Sonne noch am Himmel stand. Das war auch der Grand dafür, dass Dr. Eldon Tarver so zeitig hergekommen war.
    Er öffnete die französischen Türen mit seinem Schlüssel – ein Schlüssel, den William Braid ihm vor mehr als zwei Jahren gegeben hatte. Dann schlüpfte er ins Haus und bewegte sich zu einer Kammer unter der großen Treppe. Tarver war bereits auf halbem Weg dort, als ein kurzes Ping durch das gesamte Haus echote. Tarver huschte in die Kammer und stand mucksmäuschenstill, während er lauschte – ganz so, wie er es als Knabe getan hatte, wenn er auf der Jagd nach Essbarem gewesen war.
    Er hörte nichts.
    Er hatte warten wollen, bis Braid schlafen ging, um seine Arbeit zu tun, doch nun, da er hier war, konnte er den Gedanken an die vergeudeten Stunden nicht ertragen. Es war schließlich nicht so, als würde diese Operation irgendwelche Daten zu seinen Forschungen beitragen. Während er schäumend vor Wut in der Kammer stand, kam ihm eine mögliche Lösung in den Sinn: Falls Braid jetzt unter der Dusche stand, konnte er, Eldon Tarver, tun, was getan werden musste, und wieder auf dem Heimweg sein, ehe der Mond aufgegangen war. Es brauchte nichts weiter als ein bisschen Mumm.
    Tarver zog die Schuhe aus, öffnete die Tür und huschte eilig über den Teppichläufer in der Halle. Am Ende des Läufers befand sich das große Schlafzimmer. Er lauschte mit der gleichen Konzentration wie zuvor in der Kammer an der Schlafzimmertür. Nichts. Braid war mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit im Bad.
    Lautlos öffnete Eldon Tarver die Tür, überzeugte sich, dass der Raum dahinter leer war, und huschte geradewegs zur geschlossenen Badezimmertür. Braid stand entweder unter der Dusche oder saß auf dem Topf. Tarver hoffte, dass es die Dusche war. Er sah nach unten und bemerkte dünne Dampfschwaden, die durch die Lüftungsschlitze in der Tür zogen.
    Er trat zu einer hohen Kommode an der Wand zu seiner Linken. In der obersten Schublade fand er die Waffen, von deren Vorhandensein er bereits vorher gewusst hatte (der Mensch ist ein Gewohnheitstier): Ein Dutzend Ampullen Insulin und zwei Beutel mit Spritzen. Es gab zwei Sorten Insulin: schnell wirkendes Humulin-R und verzögert wirkendes Humulin-N.
    Eldon öffnete seinen Rucksack, nahm eine Zehn-Milliliter- Spritze hervor und streifte die Verpackung ab. Die Spritze besaß ein fünf Mal höheres

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