Leitfaden China
Modell zu zeigen versucht, geht dies mit völlig anderen Geschäftsbedingungen einher. Im ersten Fall profitiert die westliche Seite von einem starken Harmonie- und Konsensbedürfnis sowie einer ausgesprochenen Sicherheit und Geborgenheit, im zweiten ist sie mit einem völlig unzuverlässigen oder gar rücksichtslosen Geschäftsgebaren konfrontiert. Die Geschäftsrisiken sind denn auch dementsprechend verschieden.
Die Vertrauensgrundlage allein erlaubt ein Beziehungsnetz, das Sicherheit in einem fliessenden Umfeld bietet. Vertrauen basiert im Wesentlichen auf Verlässlichkeit und auf Vorhersehbarkeit, zwei Faktoren, die in einem fliessenden Umfeld ganz zentral werden. Dies zieht denn auch weitere Konsequenzen eines asiatischen Netzwerks nach sich. Weil die Wirklichkeit als fliessend gesehen wird, überdauert nicht nur kein System, sondern auch keine Sicht den jetzigen Moment. Was heute wahr ist, muss dies morgen nicht unbedingt sein. Die Wirklichkeit von Morgen wird uns zeigen, ob die heutige Wahrheit auch morgen noch Bestand haben wird. Diese stark situative Sicht, welche chinesisches Denken allgemein prägt und auch in anderen Bereichen Auswirkungen hat, entspricht in keiner Art und Weise westlichem Denken. Wenn sich bei uns etwas als wahr erwiesen hat, dann ist diese Wahrheit zeitbeständig, sie gilt auch morgen und übermorgen noch. Unsere Sicht tendiert sogar ins Absolute. Wenn etwas heute wahr ist, dann bleibt es dies für immer. Asiatischem Denken ist diese Absolutheit völlig fremd. Die Wahrnehmung, dass die Wirklichkeit fliessend ist, lässt eine statische Sicht nicht zu.
Wie bereits der oben zitierte Hong Konger Tycoon unterstrichen hat, ist in der Folge auch Ethik und Moral der situativen Einschätzung unterworfen. Es gibt kein absolutes Gut oder Schlecht, beides hängt entscheidend von der Situation ab, die es zu beurteilen gilt. Verlässlichkeit wird mit Verlässlichkeit honoriert. Und wenn dies nicht der Fall ist, muss der Benachteiligte reagieren. Unzuverlässigkeit wird sofort bestraft. Ich möchte hier anschliessend an den früheren Textausschnitt von Alessandro Baricco das Gesprächsende wiedergeben, das erneut die hohe interkulturelle Kompetenz von Hervé Joncour zeigt (Baricco, 1997, S. 34/35).
«Hervé Joncour redete noch lange. Er brach erst ab, als Hara Kei den Blick von ihm wandte und mit dem Kopf eine Verbeugung andeutete. Schweigen. Auf französisch, wobei er die Vokale ein wenig langzog, sagte Hara Kei mit rauher, unverfälschter Stimme: ‹Es wird mir ein Vergnügen sein, Sie wiederzusehen, falls Sie dies wünschen.› Zum ersten Mal lächelte er. ‹Die Eier, die Sie bei sich haben, sind Fischeier. Sie sind so gut wie wertlos.› Hervé Joncourt blickte zu Boden. ….. ‹Ich weiss›. Hara Kei lachte amüsiert. ‹Haben Sie deshalb mit falschem Gold bezahlt?› ‹Ich habe bezahlt, was ich gekauft habe.› Hara Kei wurde wieder ernst. ‹Wenn Sie von hier fortgehen, werden Sie haben, was Sie begehren.› ‹Wenn ich lebend von dieser Insel komme, erhalten Sie das Gold, das Ihnen zusteht. Sie haben mein Wort.›»
Wenn ich die Situation zwischen diesen beiden Geschäftspartnern analysiere, dann ist der Entscheid, Hervé Joncour zu empfangen, mit grosser Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass er genau so gehandelt hat, wie dies der Autor schilderte. Von diesem Moment an wurde er ernst genommen, vorher nicht! Das Gespräch schliesst denn beidseitig mit einem Versprechen und Handschlag ab, die bindend sind.
«Wer die Offerte missbraucht, ist blitzschnell aus dem Spiel», wie wiederum Höhler (op. cit., S. 101) schreibt. Eine solide Vertrauensgrundlage bietet deshalb ein hervorragendes Geschäftsumfeld, wenn sie einmal erarbeitet ist. So lange dies nicht der Fall ist, bleiben die Geschäfte mit einem wesentlich höheren Risiko behaftet als dies in einem westlichen Umfeld der Fall wäre. Fischeier anstelle von Seidenwurmeiern gehören dann zum normalen Geschäftsgebaren.
Die Vertrauensgrundlage ist schliesslich auch Grundbedingung für eine Nutzung der Netzwerke des chinesischen Geschäftsfreundes. Nur wenn ein chinesischer Geschäftspartner oder eine Partnerin das entsprechende Vertrauen in eine Geschäftsbeziehung hat, wird er oder sie dem westlichen Partner sein Netzwerk zur Verfügung stellen. Zu viel hängt für die chinesische Person von diesem Beziehungsnetz ab, als dass sie riskieren würde, das Netzwerk auf Grund der Unzuverlässigkeit eines westlichen Partners zu
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