Leitfaden China
ruinieren. Soziale Netzwerke sind in einem dauern fliessenden Umfeld die einzigen Möglichkeiten, Unsicherheiten und damit Risiken zu reduzieren, wie ich im übernächsten Kapitel in Bezug auf die Unterschiede im Risikoverhalten noch zu zeigen versuche. Ein gut funktionierendes Netzwerk bildet ein Informationsgefüge, das frühzeitig auf kommende Probleme aufmerksam macht und, wenn alle Stricke reissen, auch die soziale Sicherheit für den Einzelnen bedeutet. Sie sind unerlässlich, und chinesisches Handeln ist immer an ihnen ausgerichtet.
«Guanxi», wie Beziehungen auf chinesisch heissen, ist ein Wort, das aus zwei chinesischen Zeichen zusammengesetzt ist. Das Zeichen «guan» heisst eigentlich «Engpass» oder «Barriere», das Zeichen «Xi» heisst «System». Netzwerke sind somit Strukturen, welche Engpässe beinhalten, die über Knotenpunkte – die Kontakte – aufgelöst werden können. Das Bild ist meines Erachtens typisch für eine Mangelwirtschaft, wie sie China auf Grund des Bevölkerungsdruckes seit Urzeiten gekannt hat. Aus diesem Bild wird ebenfalls deutlich, dass die Knotenpunkte für eine Auflösung der Barrieren honoriert werden müssen. Wie ich schon früher zu zeigen versucht habe, ist hier zwar der Ansatz für Korruption zu suchen, doch ist nicht jede Überwindung einer Barriere mit Korruption verbunden. Auf Grund der Vertrauensgrundlagen und der damit verbundenen Verpflichtungsmuster ist das Lösen von Problemen mittels entsprechender Beziehungen hingegen immer mit nachfolgenden Verpflichtungen verbunden. Ein japanisches Sprichwort sagt denn auch zu Recht, es gäbe nichts Teureres als ein Geschenk. Wegen der bestehenden Vertrauensgrundlagen können die mit solchen Hilfeleistungen verbundenen persönlichen Verpflichtungen noch nach Jahren oder gar Jahrzehnten von den hilfestellenden Personen eingefordert werden, sie verjähren nie. In der fast stilisierten japanischen Kollektivgesellschaft werden deshalb Geschenke immer mit einem Gegengeschenk beantwortet. Dieses darf keinesfalls den Wert des Geschenkes übersteigen, denn das hiesse, dass man nicht bereit ist, das Geschenk anzunehmen, das zur Unterstreichung der guten Beziehung gesandt worden ist. Das käme einer Beleidigung gleich. Hingegen hat das Gegengeschenk die Funktion, zumindest einen Teil der Verpflichtungen abzugelten, die mit dem erhaltenen Geschenk verbunden sind. Man nimmt dabei die Honorierung der Beziehung an, lehnt aber gleichzeitig einen Teil der persönlichen Verpflichtungen ab, die mit der Annahme des Geschenks entstehen. Dies verhindert, dass die Verpflichtung in einem Moment eingefordert wird, in dem man selbst nicht in der Lage ist, sie auch erfüllen zu können. Und mit einem Nichterfüllen ist ein Vertrauensbruch verbunden, welcher die Beziehung ruinieren könnte oder ihr zumindest so viel Schaden zufügt, dass sie nicht mehr funktionsfähig bleibt.
Diese Integration einer chinesischen Person in ihr Netzwerk bringt es mit sich, dass in vielen Situationen nicht nur an die Person, sondern auch an ihr Netzwerk gedacht werden muss. Das Netzwerk, das eine Person bei einem Geschäft oder bei ihrer Anstellung in ein Unternehmen einbringt, ist auch im Westen ein interessanter Aspekt und wird normalerweise mit Sozialkapital umschrieben. Was hingegen im Westen weit weniger bekannt ist, ist die Tatsache, dass sich Sozialkapital in China für ein Unternehmen auch negativ veranschlagen kann. Im Falle eines Vertrauensbruchs mit einer Chinesin oder einem Chinesen, sei dies nun eine Geschäftspartnerin oder ein Angestellter, wird diese Person ihr ganzes Netzwerk gegen den westlichen Partner wenden. Der westliche Geschäftspartner hat dann nicht nur den Verlust der chinesischen Partnerin oder des Angestellten zu beklagen, sondern verliert gleichzeitig auch den Zugang zum ganzen Netz. Im schlimmsten Fall, der leider nicht selten ist, wird er das Beziehungsnetz sogar gegen sich haben. Im übrigen erfährt normalerweise auch die Konkurrenz vom Fall und wird ebenfalls kein Interesse an einem potentiell interessanten, aber gleichzeitig unzuverlässigen westlichen Geschäftspartner mehr haben.
4. Testfälle für die Güte der Vertrauensgrundlage
Die Güte einer Vertrauensgrundlage lässt sich anhand vieler Fakten testen. Zuerst einmal dürfte ganz einfach das Gefühl für die Beziehung wichtig sein. Ein gutes Gefühl ist bereits ein gewisses Zeichen, dass die Beziehung selbst nicht so schlecht sein kann.
Doch das Gefühl kann auch
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