Leitfaden China
gern viel und scharf getrunken, Wein oder Tee sind hier oft keine wirkliche Wahl.
Am Schlimmsten empfinde ich persönlich immer die Besuche in Karaoke-Bars. Dieses Sich-Selbst-Präsentieren mit einem Lied, das ich trotz DVD Begleitung wahrscheinlich mehr schlecht als recht beherrsche, hat mir immer grosse Mühe bereitet. Und doch darf man sich auf keinen Fall um eine solche Einladung drücken, weil Asiaten in dieser Umgebung sich selbst werden und der Unterschied chinesisch-ausländisch schnell dahinschmilzt. In dieser Umgebung kommt man sich näher, vor allem auch, weil der Bereich als informell gilt, d. h. alles, was dort gesagt wird, zählt für das Geschäft eigentlich nicht. Aber sehr oft erfährt man in diesen informellen Rahmen, sei dies an einem Essen oder eben an einem Karaoke-Abend, sehr viel mehr, als am Verhandlungstisch je gesagt würde. Es ist deshalb auch angeraten, Probleme, bei denen man wirklich ansteht und zu keiner Erklärung kommt, anlässlich einer dieser informellen Begegnungen aufzunehmen. Man kann selbstverständlich auch selbst zu einem solchen Besuch einladen. Aber in diesem Falle rate ich, über die chinesischen Angestellten vorzugehen, da der Besuch sonst unter Umständen sehr teuer zu stehen kommen kann.
Kosten tut die Pflege der Beziehungen auch, weil erstens die Essen oder der Barbesuch, wenn sie wirklich der Beziehungspflege dienen, nicht billig sein dürfen und weil diese Beziehungspflege oft von Geschenken begleitet ist, die zum Teil einen beträchtlichen Wert haben können.
Mit Korruption als solcher muss dies noch nichts zu tun haben, wie vielleicht sofort angenommen wird. Einer der klassischen Romane aus der Qing Zeit mit dem Titel «Wu Lin Wai Shi» (auf Englisch als «The Scholars» übersetzt, s. Bibliographie), beschreibt die Lage der Beamtenschaft der letzten Kaiserdynastie. Der Titel stammt daher, dass alle staatlichen Würdenträger die konfuzianischen Staatsexamen ablegen mussten und je nach Abschluss eine niederigere oder höhere Beamtenstelle erhielten. Der Roman ist in zweierlei Hinsicht für eine westliche Person interessant.
Er beschreibt erstens einmal, wie sich praktisch das ganze Reich kannte und wie vernetzt vor allem auch die Familienbande waren. Dieser oder jener Provinzgouverneur mochte zwar seinen Kollegen nicht persönlich kennen, aber man hatte zumindest voneinander gehört und hatte einen gemeinsamen Bekannten, der unter Umständen einen gegenseitigen Höflichkeitsbesuch arrangieren konnte, wenn dies nötig wurde. Und wenn der General so und so von Beijing nach Suzhou reiste, musste er zumindest den Cousin vierten Grades in dieser Stadt besuchen, da dieser sonst beleidigt gewesen wäre. Und vom Besuch seines hochrangigen Cousins aus der Hauptstadt hätte er über sein Beziehungsnetz in Suzhou mit Sicherheit erfahren. Schliesslich verlangte es auch die Etiquette, dass der General aus Beijing, wenn er schon nach Suzhou ging, auch seinerseits gewisse Höflichkeitsbesuche abstattete.
Bei allen diesen Besuchen, und dies ist die zweite bemerkenswerte Tatsache im Buch, musste vorgängig ein Geschenk gesandt werden. Der Sinn dieser Geschenke bestand dabei in der günstigen Beeinflussung des vorgesehenen Treffens.
Nun heisst dies nicht wie in einem europäischen Umfeld, dass die Situation korrumpiert werden sollte. Von Korruption konnte man nur dann sprechen, wenn das Geschenk für den vorgesehenen Besuch viel zu teuer war. Dann wusste der so Beschenkte allerdings auch sofort, dass der Besucher etwas von ihm wollte. Entsprach das Geschenk den Anforderungen des Besuchs und dem Rang des Besuchten, waren keine solchen Absichten damit verbunden, es ging lediglich um die Beziehungspflege. Der Beschenkte behielt die Geschenke auch nicht selbst, sondern brauchte diese, um einerseits seine Gefolgschaft bei der Stange zu halten und andererseits sein Beziehungsnetz wiederum zu pflegen. Viele der erhaltenen Geschenke fanden so den Weg in andere Familien, denen man die Wertschätzung zeigen wollte oder auf deren Unterstützung man angewiesen war.
In diesem System konnte es durchaus auch geschehen, dass man jemandem ein Geschenk sandte, das zu billig war. Der Beschenkte wusste sofort, dass er beleidigt werden sollte, denn das Ziel einer solchen Gabe bestand vor allem darin, dem Empfänger zu zeigen, dass er keinen Anspruch auf mehr hatte und damit auch nur so viel wert war.
Auf die heutige Situation bezogen heisst es, dass sich westliche Unternehmen zu diesem Thema des
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