Leitfaden China
täuschen. Hier geben dann verschiedene kleine Zeichen Hinweise, ob es tatsächlich einigermassen stimmt oder ob man völlig daneben liegt. Das Arbeiten mit einem asiatischen Netzwerk ist im Grunde sehr befriedigend, weil in meinen Augen die Zuverlässigkeit wesentlich höher ist als in einem westlichen Geschäftsumfeld. Diese Zuverlässigkeit wird aus verschiedenen Situationen ziemlich eindeutig abschätzbar.
Zuverlässigkeit in der heutigen Welt wird beispielsweise ersichtlich aus der Zeitdauer, in der ein e-Mail beantwortet wird. Auch wenn der persönliche Umgang mit Mails zum Teil sehr verschieden sein kann, darf man meines Erachtens erwarten, dass Mails in einer annehmbaren Zeit von zwei bis drei Tagen beantwortet werden. Wie anfangs hingewiesen, werden Mails in China kaum je beantwortet, wenn sie der Kontaktaufnahme dienen sollen. Hier bestehen schlicht und einfach noch keine Verpflichtungsmuster, sodass sich niemand gedrängt fühlt, auf die Mails zu antworten, schon gar nicht, wenn sie noch in englischer Sprache abgefasst sind. Ein Paradigmenwechsel findet statt, wenn die Vertrauensbeziehungen funktionieren. Dann siedeln sich Mails nämlich im Mittelteil der Kurve an und werden so rasch als möglich beantwortet. Ist dies nicht der Fall, wird man dem westlichen Geschäftspartner die Gründe schildern und ihn bitten, sich noch zu gedulden. Dies kann auch erst auf erneute Anfrage der westlichen Seite erfolgen, doch wird die Situation in der Antwort geklärt.
Wie schon früher angedeutet, sind die Verpflichtungsmuster moralisch bindend und führen oft zu einer grösseren Verlässlichkeit als im westlichen sozialen Umgang. Im Westen kann beispielsweise ein befreundetes Ehepaar noch sonntags um zwei Uhr anrufen und sich für die Nichtteilnahme am Abendessen entschuldigen, weil man nun doch noch die Opernbillette erhalten habe, auf die man so lange gewartet hat. In China, Japan oder Korea kann dies nur geschehen, wenn die Beziehung noch nicht gefestigt ist. Ansonsten haben Beziehungen eine höhere Priorität als ein privater Opernbesuch.
Wichtig ist allerdings, dass es auch innerhalb des Beziehungsnetzes Stufenunterschiede gibt. Eine kurzfristige Entschuldigung von chinesischer Seite kann beispielsweise auch den Grund haben, dass eine andere Einladung wichtiger war. Auch dies zeigt dann deutlich, auf welchem Niveau sich die eigene Geschäftsbeziehung bewegt. Entsprechend vorsichtig ist in der Folge das Geschäft mit dem chinesischen Partner oder der Partnerin zu führen. Wenn die Beziehung wichtig scheint, ist sie auch weiter auszubauen, da das höchstmögliche Niveau offensichtlich noch nicht erreicht ist.
In diesem Sinn ist der Wert des eigenen Beziehungsnetzes immer daran ablesbar, welche Persönlichkeiten man zur Teilnahme an der eigenen Unternehmenseröffnung in China oder an einem anderen wichtigen Anlass einladen kann. Die Qualität der Vernetzung mit der chinesischen Verwaltung zeigt sich gerade auch in diesen Momenten. Da das chinesische politische System relativ stark formell handelt, sollte man die eigenen Möglichkeiten einschätzen können. Ein Provinzgouverneur dürfte kaum an der Eröffnungsfeier eines Kleinunternehmens teilnehmen. Auf der anderen Seite kann man seine Chancen aber beträchtlich verbessern, wenn zum Beispiel der eigene Botschafter in China oder der Generalkonsul eingeladen wird und seine Teilnahme zugesagt hat. In der Regel ist dann anzunehmen, dass ein Vizegouverneur an der Veranstaltung eines grösseren Unternehmens oder aber ein Vizebürgermeister einer kleineren Stadt am Anlass eines KMU teilnimmt. Insofern kann der eigene Stellenwert durch das Netzwerk, in diesem Fall die Beziehungen zu den eigenen offiziellen Landesvertretungen, beträchtlich verbessert werden.
5. Zusammenfassende Bemerkungen
Vertrauen ist in China ein zentraler Wert, da in einer als fliessend wahrgenommenen Wirklichkeit nur die Personenbeziehungen stabil sind und es erlauben, die Risiken einigermassen unter Kontrolle zu halten. Alles andere ist in Bewegung.
Der Aufbau von Vertrauen muss in kleinen Schritten mit absehbaren Risiken erfolgen.
Eine gute Vertrauensbasis ist deshalb notwendig, weil Moral und Ethik situativ verstanden werden und kein absolutes Richtig oder Falsch besteht. Ethik und Moral gelten situativ nur im konkreten Zusammenhang einer Beziehung.
Fehlt das Vertrauen, ist das Risiko in der Kollektivgesellschaft ausgesprochen hoch. Erst Vertrauen schafft Vorhersehbarkeit, die in der
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