Leitfaden China
der Entwicklung im Feld der westlichen Graphik. Viele ausländische Geschäftsleute erliegen im Kontakt mit China dem Eindruck, alle Chinesen seien Opportunisten. Dem ist nicht so. Zwar gibt es in China mit Sicherheit ebensoviele Opportunisten wie in jeder anderen menschlichen Gesellschaft, aber dieses situative Handeln einer chinesischen Person mit opportunistisch abzutun, hiesse, das Grundmuster der viel höheren Flexibilität nicht zu sehen, welche dieses Denken auszeichnet. Und genau darum geht es.
Ich bin noch heute überzeugt, dass das Scheitern von Nick Leeson, dem Chefhändler der Barings Bank in Singapur Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen der Unkenntnis des anderen kulturellen Risikoverständnisses zuzuschreiben ist. Nick Leeson war ein junger Crack, der in London sein Können bis an die Grenzen trieb und mit hohen, aber immer kontrollierten Risiken Höchstgewinne für die Barings Bank einfuhr. Sein Erfolg liess ihn als prädestiniert erscheinen, das Asiengeschäft zu forcieren. Er wurde deshalb als Chefhändler an die Tochtergesellschaft in Singapur gesandt. Doch in diesem weniger risikoscheuen asiatischen Markt kam er nur zum Zug, wenn er über sein westliches Risikoverhalten hinausging. Asiatisches Risikoverhalten geht wesentlich weiter als westliches. Die Einschätzung dieser anderen Risikolage hätte aber in der Geschäftsleitung zu Hause erkannt und in die Risikoeinschätzung einbezogen werden müssen. Genau dies ist wahrscheinlich nicht geschehen, weil man in falschem Vertrauen auf Nick Leeson baute. Es gab ja keinen Grund, ihn genauer zu kontrollieren, er hatte sein volles Risikoverständnis zu Hause gezeigt und damit den grossen Erfolg gehabt. «Wir haben volles Vertrauen in unseren Mann in Singapur», dürfte wohl die klassische Antwort auf ausgedrückte Zweifel gewesen sein. Genau diese Zweifel, die auf einem Verständnis der asiatischen Mentalität basieren, hätten aber eine stärkere Kontrolle Nick Leesons in Singapur durch den Hauptsitz gefordert. Das Resultat ist bekannt, es führte zum Untergang einer der renommiertesten englischen Handelsbanken. Zu denken gibt immer noch, dass auch im Bericht der Untersuchungskommission der Bank of England, welche den Konkurs untersucht hat, kein Wort von interkulturellen Unterschieden steht. Neben rein technischen Gründen wie der hohen Volatilität der modernen Finanzinstrumente werden lediglich noch Differenzen zwischen Mitgliedern der Geschäftsleitung in der Einschätzung von Nick Leeson aufgeführt, welche als Ursachen der Vernachlässigung der Kontrollen geführt haben (siehe z. B. http://www.numa.com/ref/ barings/bar00.htm).
4. Kundenverhalten
Chinesische Kunden verhalten sich beträchtlich anders als westliche Kunden. Wenn ein Kunde in einem europäischen Land ein Produkt kauft, mit dem er nicht zufrieden ist, dann wird er in vielen Fällen einfach denken, er kaufe es das nächste Mal nicht mehr bei der betreffenden Marke. Damit ist für ihn die Sache erledigt. Wenn ein westlicher Student auf dem Gehsteig geht und sieht, dass ihm der Professor entgegenkommt, den er nicht besonders mag, dann wird er vielleicht auf die andere Strassenseite wechseln, um ihn nicht grüssen zu müssen.
Nicht so der chinesische Kunde. Er wird zuerst versuchen, einen Ersatz für das schadhafte Produkt zu bekommen oder zumindest die Reparatur bezahlt zu erhalten. Wenn das Unternehmen nicht bereit ist, auf diese Bemühungen entsprechend positiv zu reagieren, dann wird der enttäuschte chinesische Kunde aktiv versuchen, dem Unternehmen zu schaden, das ihm die mangelhafte Ware verkauft hat. Der chinesische Student wird dem Professor nicht ausweichen, sondern sogar versuchen, ihm irgendwie Mühe zu bereiten oder ihn im Moment der Begegnung gar zum Stolpern zu bringen.
Vor einiger Zeit hatte ein chinesischer Unternehmer aus dem neuen Mittelstand in Nanjing einen europäischen Luxuswagen gekauft. Er wurde jedoch mit dem Wagen nie glücklich. Ob dies daran lag, dass es sich um ein Montagsauto handelte oder aber ihm niemand die moderne Elektronik wirklich erklären konnte, spielt hier weniger eine Rolle, denn in beiden Fällen liegt das Problem beim Automobilhersteller. Im ersten Fall wäre es ein Qualitätsproblem, im zweiten würde es sich um den ungenügenden Ausbau des Dienstleistungsnetzes handeln. Der Mann ging nach Monaten der Unzufriedenheit schliesslich so weit, dass er eine Pressekonferenz in dieser grossen chinesischen Stadt einberief
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