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Leitstrahl für Aldebaran

Leitstrahl für Aldebaran

Titel: Leitstrahl für Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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auf sie rechnen.
    »Ich weiß, woran ihr denkt«, sagte er in die Stille hinein, »und glaubt mir, ich habe alle Gründe geprüft. Und wir können das auch noch einmal gemeinsam tun. Am Ende kommt aber wieder heraus: Wir müssen unsere jetzige Strategie beibehalten, ganz egal, wie es kommt. Egal, wie sehr es uns nach mehr gelüstet - mehr Wissen, mehr Raum, mehr Abenteuer.«
    Mit der letzten Bemerkung disqualifizierte er zu Unrecht die Gedanken der anderen. Er merkte es wohl, für den Bruchteil einer Sekunde hatte er einer nervösen Gereiztheit nachgegeben. Normalerweise hätten alle das übergangen, oder einer hätte es mit einem Scherz abgetan, aber in dieser Situation wurde es zum Auslöser für alle Spannungen, die sich aufgehäuft hatten.
    Mira reagierte ungewohnt heftig. »Abenteuerlich ist hier nur dein Versuch, Augen und Ohren zu verschließen und die Karre laufenzulassen, wohin sie will!« sagte sie wütend. Sie war doppelt gekränkt, einmal von dem Vorwurf überhaupt, zum anderen aber auch, weil sie sich seltsamerweise ein bißchen verraten fühlte - immer hatte sie ihn unterstützt, auch wenn es fast gar nicht mehr vertretbar war, und jetzt sagte er so was, das alle brüskieren mußte!
    Auch Toliman fiel aus allen Wolken, und seine Entgegnung war frostig. »Retourkutschen sind keine Argumente.«
    Jetzt wurde Mira ernsthaft böse. »Glaubst du, ich habe keine Argumente?« fragte sie. »Glaubst du, nur du hast Argumente? Wir haben auch welche, und vielleicht mehr als du. Und vielleicht bessere. Wollen doch mal sehen! Was ist mit der Anomalie, die in den nächsten dreizehn Wochen auf uns zukommt, irgendwoher, wir wissen es nicht, und was sie dann tut, wissen wir erst recht nicht? Was ist mit den Strahlungsausbrüchen, wo die Maxima in sechs Wochen wieder am Tage liegen und uns direkt treffen? Was ist mit der Tierwelt oder überhaupt mit der Biologie dieses Planeten, die ist doch wohl nun wirklich nicht so harmlos, wie wir gedacht hatten? Was ist...«
    »Ja, ja, ja, ja«, unterbrach Toliman und hob die Hände an die Ohren, »das sind doch.. darüber haben wir schon ein Dutzendmal.. das sind alles Spekulationen!«
    »Und du?« Jetzt wurde Mira aggressiv. »Du spekulierst auch nur! Du spekulierst darauf, daß nichts passiert! Ist das nicht viel armseliger als unsere Spekulationen? Die haben wenigstens noch Phantasie! Du weißt auch nicht mehr als wir, du tust bloß immer so!« Sie blickte sich in der Runde um, sah Gemmas entgeistertes Gesicht und mäßigte sich sofort. »Ist doch wahr!« sagte sie, und fühlte sich plötzlich ganz ruhig.
    »Na, ist der Ausbruch vorbei?« fragte Toliman, um seine Unsicherheit zu überspielen. Aber diesmal gelang es ihm nicht, Mira aufzubringen.
    »Sieh das doch mal so«, sagte sie freundlich, »bisher war deine Strategie erfolgreich. Gut. Also war sie richtig? Meinetwegen. Aber muß sie deshalb immer richtig sein? Manchmal wird etwas falsch, was bis dahin richtig war, das soll vorkommen, oder?«
    Etwas verspätet und ziemlich unsicher sagte Gemma: »Kinder, so geht das nicht.« Aber ihr Einwand ging unter.
    »Was richtig ist, weiß man genau immer erst hinterher«, sagte Toliman.
    »Eben«, entgegnete Mira sachlich, »und damit gibst du zu, daß du auch nichts Genaues weißt!«
    Dem folgte ein langes Schweigen. Jetzt stand Meinung gegen Meinung, zwar im Verhältnis drei zu eins, aber die Wahrheit ist ja nicht immer mit Mehrheitsbeschlüssen festzustellen.
    Sie schwiegen sich in eine wachsende Erbitterung hinein, und sie standen diesem Prozeß fast ratlos gegenüber. Nachgeben, wenn die Argumente zeigen, daß der andere recht hat - ja, das wäre ihnen geläufig gewesen; ebenso beharren und durchsetzen, wenn man sich selbst im Recht weiß. Aber hier gab jeder im stillen zu, daß für die Meinung des anderen vernünftige Argumente sprachen und daß sie eigentlich zu wenig wußten, um die Frage zu entscheiden. Aber eine Entscheidung mußte gefällt werden. Nur, was man da noch reden sollte, was man durch Debattieren noch hätte erreichen sollen, das sah keiner.
    Eine solche ratlose, ohnmächtige Erbitterung hatte keiner von ihnen je erfahren. Gemma schluchzte plötzlich, sie hielt die Spannung nicht mehr aus.
    »Schluß jetzt«, sagte Mira, »vertagen wir die Sache!« Es war eine augenblickliche Reaktion, Gemma zu helfen, und erst danach begriff Mira, daß das wohl auch der einzige Weg gewesen war, aus dem Dilemma herauszukommen, und sei es nur vorläufig, für diesen Abend, für

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