Lektionen der Leidenschaft: Roman (German Edition)
fortfuhr mit seinen Selbstvorwürfen.
» Aber das ist keine Entschuldigung. Außerdem hätte ich deine Veränderung bemerken und ahnen müssen, dass mehr dahintersteckte als nur der Tod deiner Mutter. Es beschämt mich, eingestehen zu müssen, wie erleichtert ich war, dass du mir irgendwann keine Fragen mehr stelltest, keinen Trost mehr von mir erwartetest. Thomas’ bei seinen finanziellen Problemen zu helfen, das fiel mir leicht, deinen seelischen Kummer wollte ich nicht sehen. Dafür war ich schlecht gerüstet und schlecht vorbereitet.«
Thomas. Sein Name brannte ihr in den Ohren. Die Erinnerung an ihn schmerzte sie zutiefst. » Ich war immer überzeugt, dass du Thomas mehr liebst als mich.«
Ihr Vater schwieg, hob langsam die Hand und führte sie an ihre Wange. » Wenngleich ich schreckliche Fehler gemacht habe, so musst du mir trotzdem glauben, dass dies meine Liebe zu dir nicht beeinträchtigte. Ich liebe dich von ganzem Herzen und mehr als alles andere auf der Welt.« Er zog seine Tochter zu sich heran, und sie schmiegte sich in seine ausgebreiteten Arme. Es war so lange her, dass er sie auf diese Art gehalten hatte.
Nach einer Weile ließ er sie los. » Ich werde keine Anstrengung scheuen, es wiedergutzumachen. Alles.«
Amelia lächelte unsicher. » Mir wäre es lieber, einen neuen Anfang zu wagen.«
Der Marquess drückte sie kurz an sich. » Ja, du hast recht. Wir fangen noch einmal von vorne an.«
Was hätte Amelia nicht dafür gegeben, exakt diese Worte aus Thomas’ Mund zu hören.
31
E igentlich hätte Thomas sich freuen sollen, als er über die Schwelle von Stoneridge Hall trat. Aber angesichts der Gewissheit, dass Amelia fort war, verspürte er nichts als Leere.
Drei Wochen und vier Tage waren vergangen seit jenem verhängnisvollen Abend. Um Mitternacht würde ein weiterer Tag hinzukommen und dann noch einer und noch einer… Sein Leben lang.
Harry hatte sie nach Hause geholt. Nach Fountain Crest. Der Brief, in dem der Marquess of Bradford ihn davon in Kenntnis setzte, war vor drei Tagen in seiner Londoner Stadtwohnung eingetroffen. Jetzt kam er zurück nach Stoneridge Hall, um am Winterball seiner Mutter, der am heutigen Abend stattfinden sollte, teilzunehmen. Irgendwie war er froh, ihr nicht begegnen zu müssen, und zugleich vermisste er sie.
» Thomas, du bist spät dran«, grüßte seine Mutter. Das gelblich grüne Kleid aus Taft und Tüll umflatterte sie, als sie ihn zärtlich auf die Wange küsste.
» Guten Abend, Mutter.« Er wollte widersprechen, dass er sich nicht verspätet habe, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.
» Ich muss mich noch um so viele Kleinigkeiten kümmern, bevor die Gäste eintreffen, und die Diener sind alle beschäftigt. Mein Lieber, wäre es schlimm, wenn ich dich bitte, mal nachzusehen, wo der Punsch geblieben ist? Irgendwo habe ich den Krug abgestellt, kann mich aber beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wo. Oh, könntest du deinen Mantel bitte selbst dort drüben verstauen? Keine Ahnung, warum die Lakaien wie vom Erdboden verschluckt sind.«
Thomas blickte sich um und registrierte die hektische Betriebsamkeit in der hell erleuchteten Halle. Es schien, als habe seine Mutter den gesamten Kerzenbestand in der Gegend aufgekauft.
» Vielleicht kannst du zuerst in der Bibliothek nachsehen. Ich glaube, ich bin vorhin dort gewesen, warum auch immer.« Sie tätschelte ihn mütterlich, drehte sich um und eilte in den Ballsaal.
Mit dem Mantel über dem Arm schritt Thomas durch den langen Gang zur Bibliothek, die bei zugezogenen Vorhängen ebenfalls hell erleuchtet war, ging hinüber zu seinem Stammplatz, dem ledernen Armsessel, und traute seinen Augen nicht. Sein Mantel fiel zu Boden, sein Mund stand offen.
Auf dem Sofa saß Amelia und schaute ihn mit großen Augen an. In ihrem lavendelfarbenen Kleid sah sie hinreißend aus, zumal das großzügige Dekolleté sehr viel Haut sehen ließ. Mehr brauchte es nach drei langen Wochen nicht, um ihn zu erregen… und sich gleichzeitig darüber zu ärgern, dass er sich so wenig unter Kontrolle hatte.
» Thomas.« Amelia flüsterte andächtig seinen Namen, als sei ein Gebet in Erfüllung gegangen.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals. » Mir wurde gesagt, dass du fort seist«, erwiderte er gepresst und betont kühl, bückte sich und hob den Mantel auf.
Der Glanz in ihren Augen wurde schwächer. » Ich kann mir gar nicht vorstellen, wer dir das gesagt haben könnte«, entgegnete sie und stand auf.
» Dein Vater.«
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