Lektionen der Leidenschaft: Roman (German Edition)
dem Waschtisch lagen. Offensichtlich war Hélène zwischenzeitlich im Zimmer gewesen, um leise alles auszupacken.
In diesem Moment klopfte es an der Tür, und die Zofe stürmte herein. » Ah, oui, Sie sind wach«, grüßte das Mädchen lächelnd und eilte zum Schrank. Sie öffnete beide Türen und fing sofort an, darüber nachzudenken, welches Kleid für das Abendessen passend wäre. Schließlich streichelte sie mit den Fingern über einen hauchdünnen blassgelben Stoff.
» Soll ich ein Kleid aussuchen, Mademoiselle, pour vous?«
Amelias Kopfschmerz hatte sich von einem dumpfen Pochen zu einem scharfen und unerbittlichen Schmerz gesteigert, sodass sie nur wenige Sekunden brauchte, um sich zu entscheiden. » Nein. Bitte teil Lord Armstrong mit dem größten Ausdruck meines Bedauerns mit, dass ich aufgrund einer Unpässlichkeit nicht in der Lage sei, mich dem Abendessen im Familienkreis anzuschließen.« Und weil das der Wahrheit entsprach, würde er wenig dagegen sagen oder tun können.
Hélène drehte den Kopf abrupt in ihre Richtung. » Ist Ihnen nicht wohl, Mademoiselle?«
» Schauen Sie nicht so besorgt drein. Es ist nur ein Kopfschmerz, mehr nicht. Allerdings ein heftiger, doch eine ruhige Nacht mit ausreichend Schlaf wird alles wieder in Ordnung bringen.«
Hélène nickte, ließ den spinnwebenfeinen gelben Stoff los und schloss die Schranktüren. » Wie Sie wünschen, Mademoiselle. Soll ich darum bitten, dass ein Tablett heraufgebracht wird?«
Genau in diesem Moment rebellierte ihr Magen und krampfte sich unangenehm zusammen. Du liebe Güte, seit dem Morgen hatte sie keinen Bissen mehr zu sich genommen. » O ja, bitte. Offenbar ist mein leerer Magen schuld an diesem Migräneanfall.«
Hélène nickte und verließ das Zimmer genau in dem Moment, als zum Abendessen geklingelt wurde.
Fünf Minuten später klopfte es erneut.
» Herein«, rief Amelia, schwenkte die Beine aus dem Bett und stellte die Füße auf den plüschigen Teppich, der den Boden bedeckte. Das Essen kam viel früher als erwartet. Zum Glück, denn ihr Magen knurrte bereits erwartungsvoll.
Die Tür wurde geöffnet, aber es war nicht etwa der Diener mit der erhofften Mahlzeit, der eintrat, sondern Viscount Thomas Armstrong. Wie Gott Apoll persönlich, nur dass er ein förmliches Jackett trug, eine Weste und bräunliche Hosen sowie eine weiße Krawatte, die einen aparten Kontrast zu seiner leicht gebräunten Haut bildete. Eigentlich eine unwichtige Beobachtung, die ihr trotzdem unwillkürlich durch den Kopf schoss.
» In meinen Augen sehen Sie wohl genug aus, um herunterzukommen«, behauptete er ohne Umschweife.
Am Fußende des Bettes blieb Amelia abrupt stehen. Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. » Ihre Besorgnis ist überwältigend.«
Ohne den Blick von ihr zu wenden, trat er ein. Der Raum schien zu schrumpfen durch seine Gegenwart. Lässig griff er hinter sich und versetzte der Tür einen kleinen Stoß, sodass sie mit einem gedämpften Laut zufiel, der in ihren Ohren jedoch laut und bedrohlich klang.
Amelia erschrak und schluckte schwer. Mehrere Sekunden lang konnte sie ihn nur ungläubig anstarren. » Was machen Sie da?«, sagte sie entrüstet, nachdem sie die Sprache wiedergefunden hatte.
» Machen Sie das immer so, dass Sie einen Bediensteten losschicken, um Ihre Lügen unter die Leute zu bringen?« Er kam auf sie zu. » Wenn Sie hoffen, dass ich Ihnen auch nur ein einziges Wort glaube, dann irren Sie sich gewaltig.«
» Mylord, Sie befinden sich in meinem Schlafzimmer.« Ihre Stimme klang irgendwie unsicher und brüchig. » Vielleicht sind Sie es gewohnt, andere Frauen auf diese Weise zu behandeln, aber ich bin eine Lady und erwarte, dass ich anders behandelt werde als eines Ihrer Flittchen. Ich bin ziemlich überzeugt, dass Ihre Mutter mit solchem Benehmen ebenfalls nicht einverstanden wäre.«
Unmittelbar vor ihr blieb Armstrong stehen. So dicht, dass Amelia sich nach zwei Armeslängen Abstand sehnte, doch sie konnte nicht schon wieder kneifen. Nein, diesmal musste sie standhalten.
» Ausgerechnet Sie wollen mich lehren, was Anstand ist?« Fragend zog er eine Augenbraue hoch, die deutlich dunkler war als sein Haar. » Habe ich versäumt zu erläutern, dass Ihr Vater mir die Erlaubnis erteilte, Ihnen eine andere Unterkunft zuzuweisen, falls die… äh…Situation zu anstrengend für mich wird? Ich nehme an, dass die Schwestern der Abtei in Westmorland Sie in ihrer Einsamkeit gerne willkommen heißen würden.«
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