Lektionen der Leidenschaft: Roman (German Edition)
ein Weinkenner an einem Glas besten Bordeaux.
Die Viscountess strich sich zufrieden über den Rock und erhob sich. » Gut. Dann gehe ich jetzt schlafen.«
Thomas prostete ihr zu. » Gute Nacht, Mutter.«
Kurz vor der Tür hielt sie inne und drehte sich zu ihm um. » Du hast einmal erzählt, dass ihre Mutter gestorben ist, als sie noch klein war.«
» Ja«, bestätigte Thomas.
Seine Mutter seufzte. » Irgendwie spüre ich, dass eine gewisse Traurigkeit sie umgibt. Du achtest doch darauf, wie du mit ihr umgehst, nicht wahr? Mir liegt sehr daran, dass sie ihren Aufenthalt hier genießt.«
Die Bemerkung seiner Mutter erwischte ihn unvorbereitet. Thomas wusste nicht, wie er darauf antworten sollte. Man musste ihm nicht mit der Erinnerung an einen verstorbenen Elternteil kommen; auch er hatte seinen Vater schließlich in einem schwierigen Alter verloren. Und was diese gewisse Traurigkeit betraf, nun, so konnte er keine Spur davon entdecken. Im Gegenteil, er sah nichts anderes als ein verzogenes und ungemein schwieriges weibliches Wesen, das sich um nichts anderes kümmerte als um sich selbst.
» Keine Sorge, Mutter. Ich werde Lady Amelia mit allem Respekt und aller Fürsorge behandeln, die sie verdient.«
Diesmal schien Lady Armstrong mit seiner Antwort zufrieden, denn sie lächelte ihn warmherzig an, bevor sie das Zimmer verließ.
Noch lange, nachdem sie gegangen war, grübelte Thomas darüber nach, was sie mit ihrer letzten Bemerkung eigentlich gemeint hatte.
10
A m nächsten Morgen wartete Thomas im Arbeitszimmer auf Amelia. Seit der Tag sich grau und trüb aus den Fängen der Nacht befreit hatte, waren Stunden verstrichen. Aufmerksam beobachtete Thomas die Zeiger der bronzenen Uhr. Eine Minute nach acht. Amelia war nun offiziell zu spät.
Was sollte er tun? Der erste Impuls drängte ihn, nein, befahl ihm, seine Ankündigung wahrzumachen, die Treppe hinaufzusteigen und sie in ihrem Zimmer aus dem Bett zu zerren. Aber sein Respekt vor den gesellschaftlichen Gepflogenheiten hielt ihn zurück. Außerdem befürchtete er, dass er sich möglicherweise zu Dingen hinreißen ließ, die er nicht wollte. Wobei der Wunsch, ihr den hübschen Hals umzudrehen, natürlich ein rein theoretischer war und nur vom Ausmaß seines Ärgers zeugte. Außerdem musste er Rücksicht nehmen auf seine Familie und die Dienerschaft, denn Klatsch und Tratsch waren das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte.
Er ging zum Schreibtisch und zerrte ungeduldig an der Klingelschnur. Innerhalb weniger Sekunden erschien ein Lakai in der Tür.
» Sir?«, fragte Johns mit der gebotenen Unterwürfigkeit.
Eigentlich wollte Thomas ihn anweisen, eine der Zofen zu Amelia zu schicken, überlegte es sich aber anders. Das genau bezweckte Amelia vermutlich, während sie sich noch in ihr Federbett kuschelte und nur auf eine solche Reaktion wartete.
» Ich kann die Post von gestern nicht finden.« Die Bemerkung war ihm gerade in den Kopf gekommen und ziemlich unsinnig.
» Ich glaube, sie liegt auf Ihrem Schreibtisch, Sir«, erwiderte der Lakai mit aller Ernsthaftigkeit.
Thomas schob demonstrativ die Bücher auf dem Schreibtisch hin und her und kramte in seinen Papieren. » Aha, da ist sie ja, vergraben unter meiner Arbeit. Sehr gut, das ist dann alles.«
Johns deutete eine Verbeugung an, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand.
Verfluchtes Weibsstück. Jetzt hatte sie ihn schon so weit getrieben, dass er sich vor der Dienerschaft zum Narren machte. Während er noch grübelte, was er mit ihr anstellen sollte, blätterte er flüchtig den Stapel Briefe durch, die nur zum kleinen Teil seine sofortige Aufmerksamkeit verlangten. Ein Umschlag jedoch– in dunklem Olivgrün gehalten– fiel ihm just in dem Moment ins Auge, als er ihn zu den anderen zurückwerfen wollte. Es war klar erkennbar, dass es sich um einen weiblichen Absender handelte, doch die Schrift kannte er nicht.
Neugierig riss er den Umschlag auf und zog ein einzelnes Blatt Papier heraus. Gleich die ersten Worte sprangen ihm ins Auge: Mein liebster Thomas. Sofort flog sein Blick auf die Grüße am Ende des Briefes. In tiefer Zuneigung, Louisa.
Thomas erstarrte, klammerte die Finger fester um den Brief. Rasch überflog er den Inhalt und stellte fest, dass Ihre Hoheit die Bekanntschaft zu ihm zu erneuern wünschte. Und es machte den Eindruck, als habe sie jegliches Feingefühl zugunsten einer sehr direkten, fast plumpen Annäherung aufgegeben.
Thomas schnappte sich den Umschlag samt Brief, ging
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